„Zeitumstellung“ – so hatte ich 2017 mein Buch „für einen guten Umgang mit der Zeit“ genannt. Jetzt ist es wieder so weit – running gag: Die Uhr, nicht die Zeit wird umgestellt am 26. März. Diese gerne genommene Verwechselung hatte mich damals – so lange ist das schon wieder her? – bewogen, den doppelsinnigen Titel zu wählen. Es sollte diejenigen ansprechen, die es mit der Zeit haben. Und die sich womöglich gelegentlich die – sehr empfehlenswerte – Frage stellen: Ticke ich noch richtig?
Womöglich ist es am Sonntag wieder mal an der Zeit dafür.
Das könnte ein produktiver Effekt der umstrittenen, wiewohl gesetzlich im Einheiten- und Zeitgesetz (EinhZeitG) geregelten Uhrumstellung am Wochenende sein. Wenn die Zeit es denn zulässt. Immerhin stellt die Uhr ja davon eine Stunde weniger zur Verfügung am Sonntag. Der Zeit ist’s egal. Sie macht, was sie will. Geht und vergeht. Und wir mit ihr.
Wer es etwas genauer wissen möchte, könnte diese, in diesem Blog regelmäßig besungene Veränderung zum Anlass nehmen, mal wieder über sich und sein oder ihr Verhältnis zur Zeit nachzudenken. Das ist – verkürzt – der unterschiedlich nuancierte Tenor der bisherigen Beiträge im ORTHEYs-Blog zu diesem zweimal jährlichen Anlass.
Können Sie machen.
Macht ja Sinn.
Sie müssen es aber nicht.
Sie können sich auch mal über diese und andere Dauerbetextungen zur Selbstoptimierung hinwegsetzen und sich der Faulheit hingeben – oder mal nichts tun.
Sonntag bietet sich ja dazu an. Im biblischen Sinne war das ja der verordnete sonntägliche Zweck: Ruhn. Statt tun.
Also auch: mal nicht nachdenken. Der Muße den Vorzug geben.
Anstrengendes Projekt – einfach mal loszulassen.
Nichts daran ist einfach. Je schwieriger es gelingen will, umso wichtig ist es allerdings.
Wozu?
Günstigstenfalls, um mal wieder zu sich selbst zu finden im medialen Dauergetöse, das uns umgibt und aus dem viele kaum einen Ausweg finden. Ist ja auch anspruchsvoll angesichts der immer aufgeregteren und zugespitzteren Dramatiken des weltlichen Geschehens.
Diejenigen, die da Gefahr laufen, sich selbst zu verlieren und dabei häufig „Zeitdruck“ (seltsamer Begriff – oder?) empfinden, schauen aber offenbar weniger auf die Uhr, denn der Uhrenverkauf stagniert. Das melden in diesen Tagen Statistiker. Der Uhrenabsatz ist 2021 um 16,3 % zurückgegangen – im Vergleich zu 2011. Besonders betroffen: Kuckucksuhren und Armbanduhren.[1] Zum Kuckuck!
Passend dazu die allmorgendliche Schätzfrage im Radiosender Bayern 1 am 24.03.2023: „Wie viele Deutschen tragen keine Armbanduhr mehr?“ Richtige Antwort 43%. Die „Überraschungskandidatin“ schätze anfangs 70%, weil: „Armbanduhren sind ja nicht mehr modern.“ Eine Einschätzung am Puls der Zeit womöglich.
Aber: Woher nehmen die oftmals zeitgeplagten Zeitgenoss:innnen heutzutage die sie oft bedrückende Information, was die Stunde gerade geschlagen hat? Klar, Sie schauen auf ihr Smartphone, das aber über diese uhrzeitliche Information hinaus noch mehr bereit hält an Informationen. Und schon geht’s wieder dahin. Da wird schnell die Zeit etwas Wischi-Waschi.
Stopp, Einspruch.
Es schauen doch aber so viele Menschen auf die Uhr am Handgelenk. Sprechen gar hinein, oder richten sie beim Bezahlen auf die Kassenkraft. Ah ja, da war doch was: Die Uhr ist einstweilen zur Smartwatch mutiert. Das ist eine Evolution, der wir eine starke Funktionszunahme der heutigen „Uhren“ verdanken, die oftmals als Smartwatches daherkommen. Deren Absatz nimmt entgegen den eben zitierten Zahlen allerdings kontinuierlich zu.[2] Das hat weniger mit der klassischen „Kernkompetenz“ der Uhr zu tun, der Anzeige der Uhrzeit. Vielmehr geht es um das, was sie heute sonst noch alles auch noch ermöglicht: Telefonieren, Bezahlen und solche lebensdurchdringenden Tätigkeiten eben. Die Uhr kann gehen, ja. Wenn sie mit der Zeit geht, ist sie eine Smartwatch geworden.
Die Ablösung der klassischen Uhr durch die multifunktionalen Smartwatches ist ein aktuelles Zeitzeichen. Es macht das Sich-Orientieren nicht leichter, obschon das die Einredung ist: nur noch ein Gerät für weiß ich nicht wie viele Funktionen. Die gibt’s jedenfalls immer als Zugabe oben drauf. Nicht nur die Zeit, sondern auch die anderen Funktionen drängen sich in die Zeit des Nutzers oder der Nutzerin. Und erhöhen die Komplexität dessen, was zur Beachtung und ggf. zur Bearbeitung ansteht, statt das Leben zu vereinfachen. Auch hier gilt – ich mache es gerade im Selbstversuch: Einfach mal ablegen. Ich nutze diese „Uhr“ nur noch zum Sport. Da hat sie neben der Zeitanzeige für mich einen Zusatznutzen. Ein winziger anderer ist aber auch noch nicht zu unterschlagen: Smartwatches stellen sich am Sonntag selbsttätig um, nehmen uns das zweimal jährlich nötige Rummgefummel bei der Uhrumstellung auch noch ab. Zugespitzt könnte es auch heißen: Sie bemächtigen sich unserer Zeit. Und nehmen uns dabei von ihr so viel ab, dass es einer Entmächtigung gleichkommt.
Zur „Zeitumstellung“ am Sonntag könnte konkret heißen: das ein oder andere seinlassen oder zumindest für diesen einen Tag ablegen.
Und stattdessen?
Gute Frage.
Ich lasse mich zu einer Antwortperspektive durch einen bewegenden Moment bei der morgendlichen Zeitungslektüre inspirieren. Heute (22.03.2023) vor 90 Jahren kamen die ersten Häftlinge ins KZ Dachau. Der angehende Jurist Claus Bastian war einer von ihnen. Er war „der Häftling Nummer 1“.[3] Angesichts des Unfassbaren, was sich im „aufstrebenden“ Konzentrationslager tat und was er hautnah erlebte und erlitt, hatte Claus Bastian eine ganz eigene Erfolgsstrategie: Er konzentrierte sich auf das Gute. Beispielsweise auf die kleinen Gesten zwischen den Gefangenen. „Andere sammeln Briefmarken, wir sammelten das Gute.“ Das habe ihm geholfen, die schwierigen Zeiten im Lager durchzustehen.
Gutes Sammeln. Der „Häftling Nummer 1“ hat das mit seinen Mitgefangenen getan, beispielsweise indem sie sich abends beim Reinigen ihrer Wunden halfen.
Das könnte ein Modell für das „Stattdessen“ der „Zeitumstellung“ sein.
Statt sich wieder mal endlos zu verdaddeln mit Smartphone und -watch, eben das sein zu lassen und sich gemeinsam zu helfen – und Gutes zu sammeln.
Das wäre auch ein Konzept, das über den Tag der Uhrumstellung am 26. März hinausreicht.
Es wäre eine Konkretisierung dessen, was es bedeuten könnte, die aktuellen Zeitzeichen zu erkennen und sie mit einem „guten“ Zeitzeichen zu kontrastieren. Ein kleiner, ein guter persönlicher Beitrag zur Zeitenwende.
Und so gesehen: eine wunderbare „Zeitumstellung“, die da ansteht.
Gute Zeiten.
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[1] Das vermeldet der Münchner Merkur am 22.03.2023 (Tölzer Kurier vom 22.03.2023, „Weltspiegel“, Seite 22)
[2] Waren es 2018 2,3 Millionen abgesetzte Smartwatches in Deutschland, so steigerte sich der Absatz 2020 auf prognostizierte 3,2 Millionen Stück. Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/459093/umfrage/absatz-von-smartwatches-in-deutschland/ , abgerufen am 23.03.2023
[3] „Der Häftling Nummer 1“. Tölzer Kurier vom 22.03.2023, „Bayern Region“, Seite 10
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Für diejenigen, die Lust haben, ihre Zeiten mit Lesen zu (er-) füllen, gibt es meine „Zeitumstellung“: Frank Michael Orthey: Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Haufe-Lexware. Leseprobe unter www.zeitumstellung.jetzt
Wer noch mehr Zeit zum Lesen und Lust auf das Thema hat, die- oder derjenige kann fündig werden in den „Zeitzeichen“, meinem „ABC unserer Zeit“. Dort finden Sie Texte und Impulse für gute Zeiten, z.B. zu den Stichworten: Abschluss – Anfang – Augenblick – Auszeit – Beschleunigung- Chillen – Dauer – Eigenzeit – Eile – Endlichkeit – Entschleunigung – Ewigkeit – Fastenzeit – Gelassenheit – Hektik – Knappheit – Langeweile – Langsamkeit – Moment – Muße – Naturzeit – Pause – Qualitätszeit – Rasten – Rituale – Schnelligkeit – Sofortness – Sommerzeit – Stau – Takt – Rhythmus – Trödeln – Uhr – Unterbrechung – Urlaubszeit – Vergleichzeitigung – Warten – Weile – Wiederholung – Zeitfenster – Zeitfresser – Zeitmanagement – Zeitmangel – Zeitverlust – Zeitwohlstand – Zukunft – Zwischenzeit.
Gute Zeiten!
ZEITZEICHEN
Ein ABC unserer Zeit.
ISBN 978-3-7504-3216-1
€ 19,99 [D] incl. MwSt.
Erhältlich bei BoD: https://www.bod.de/buchshop/zeitzeichen-frank-michael-orthey-9783750432161
Und wer es lieber digital mag, kann auch in diesem Blog rumstöbern 😉
Und wer hören will stattdessen, der- oder diejenige kann in den ORTHEYs-Zeitzeichen Podcast hineinhorchen:
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