Das Abarbeiten ist am Ende. Nach einer eindrucksvollen Karriere über Jahrhunderte hinweg zeigt sich nun ein unaufhaltsamer Niedergang. Das Abarbeiten wurde von allerlei Zwanghaftigkeiten befeuert, die sozial und gesellschaftlich zementiert erschienen, wie die christlichen Gebote, die protestantische Arbeitsethik, die kapitalistische Zeit-ist-Geld-Mentalität und natürlich bis ans Sterbebett auch das Zeitmanagement in all seinen Spielarten. Das alles wurde im jeweils gängigsten Jargon gesellschaftsfähig gemacht und schwebte als Über-Erzählung über allem. Letztlich ging und geht es darum, Aufgaben abzuarbeiten – und das fristgerecht und immer schneller, versteht sich. Auch wenn es sich fromm oder schick anhörte von den Kanzeln der Kirche oder im Management- und Beraterkauderwelsch, es lief doch darauf hinaus, die Menschen, ihre Beziehungen, ihre Kultur, die Organisation und die Aufgaben, um die es geht, unter den Zwang zeitlicher Vertaktung zu stellen. Und wenn es dann – endlich – geschafft ist: Haken dran. Abgearbeitet.

Das ist jetzt vorbei. Denn es wird immer deutlicher, was dadurch in Kauf genommen wird. Burn-Outs, konfliktären Beziehungen, kulturelle und organisationale Verwerfungen und vor allem die Entlebendigung der Aufgaben, um die es doch eigentlich gehen soll, sind nicht länger zu übersehen. Der Haken ist dran, hat aber einen Haken: Die Qualität leidet. Und mit ihr das überall gewünschte und beschworene Wachstum.

Die Systeme rudern mit aller Anstrengung dagegen, die jeweils präferierten Bedeutsamkeitsprediger erfinden neue Erzählungen der Selbst- und Allesoptimierung. Im Kern bleibt es allerdings dabei, dass Qualität und Wachstum Schaden nehmen, weil abgearbeitet wird. Leidtragende in dieser inhaltslosen Mehr-desselben-Spirale sind vor allem die Menschen – und es sind die Aufgaben und die Sachinhalte, mit denen sie verbunden sind. Denn die sollen doch qualitätsvoll, kreativ, lebendig und was weiß ich nicht noch anderes zusätzlich „erledigt“ werden. Und ja, sie werden erledigt, werden zu inhaltsleeren Gefäßen, die „am Ende des Tages“ Haken zur Schau tragen. Die Sache – und oft auch der Mensch – ist damit erledigt! Das Einzige, was wächst, ist der Haken dran. Erledigt  Damit sollte mal Schluss sein. Denn „nachhaltig“ wäre es wohl anders.

Kennen Sie nicht auch Aufgaben, die längst erledigt schienen und die dann nochmal auftauchen in ungeahnten Ideen, die vor dem Hakendran nicht berücksichtigt wurden? Kennen Sie nicht auch Kreativitätsschübe, wenn es mal wieder viel zu lange dauert? Wenn die Frist, die Deadline, schon überschritten ist für die Abgabe, die Präsentation, das Manuskript schon abgegeben? Schade eigentlich für Qualität und Wachstum, wenn der frühzeitig gesetzte Haken die späte Innovation nur noch für den Papierkorb tauglich macht. Menschen und Inhalte werden über Lebendigkeit verbunden. Lebendige Beziehungen sind dynamisch, auch zeitlich – und sie sind nicht über Lebendigkeit begrenzte Häkchensetzerei und Abarbeiterei zu pflegen. Sie werden im Gegenteil dadurch zerstört. Kurzum: Das Konzept des Abarbeitens von ToDos oder ebensolchen Listen hat mit lebendiger Qualität und mit nachhaltigem Wachstum nichts zu tun. Es produziert nur Haken, die den Blick verschleiern und deshalb zufrieden machen, weil damit eine Konvention erfüllt wurde – und oftmals auch innere Muster von Personen. Erledigt. Endlich. Das tut gut. Aber wozu?

Zuspitzende Antwort: Weil damit funktionale Illusionen gepflegt werden, die mit Qualität und Wachstum nichts zu tun haben, sondern nur mit der Ästhetik des schönen und schnellen Scheins.

Wenn es tatsächlich um lebendige Qualität und Wachstum gehen sollte, dann taugt das Paradigma des Deadlinesetzens und Hakendranmachens nicht mehr. Es bräuchte ein neues. Und – Sie ahnen es – damit auch einen veränderten Umgang mit der Zeit.

Als Zeitforscher bin ich stets das eigene Forschungsprojekt. Insofern experimentiere ich in diesem Sinne seit einiger Zeit 😉 so vor mich hin. Gute Erfahrungen habe ich mit den Ansätzen unten gemacht. Gemeinsam ist ihnen, dass ich damit versuche Lebendigkeit, die Inhalte und mein damit verbundenes Ich brauchen, zu bewahren – und sie nicht in einem Korsett zu unterdrücken. Inhalte „leben“ – und sind bestenfalls lebendig mit Menschen verbunden. Mal schleppen sie sich dahin, mal gibt es Schübe, wo wirklich was vorwärts geht, mal Umwege, gelegentliche Verzweiflungen und dann wieder grandiose Ausblicke. Das alles gehört zu Aufgaben und Arbeitspaketen dazu – jedenfalls in meinem „Gewerk“. Da ist beispielsweise Liegenlassen oft angemessener als zwanghaft etwas abzuarbeiten, was dann nichts taugt. In dem gewachsenen Vertrauen des Schreiberlings, Forschers und Beraters, dass der richtige Zeitpunkt für das Liegengelassene ganz sicher kommen wird.

Was versuche ich konkret? Und wie?

  • Ich versuche, dem Tag eine möglichst abwechslungsreiche (zeitliche) Struktur zu geben. Auch wenn ich fokussiert auf eine Aufgabe bin, unterbreche ich, mache Pausen, wechsle den Raum und Kontext. Nicht primär um mich abzulenken (wobei auch dies gelegentlich hilfreich sein kann), sondern um die Konzentration halten zu können. Insbesondere dann, wenn die Aufgabe größere „Zeitfenster“ benötigt.
  • Ich verzichte auf harte Terminanschläge, wo immer es geht. Dennoch gibt es im „richtigen Leben“ manchmal Abgabefristen oder „harte Anschläge“. Auch in solchen Fällen versuche ich – abgesehen von (finanz-) amtlich gesetzten Fristen 😉 – möglichst, kleine Flexibilitäten zu erhalten, um das Produkt auch im sogenannten „Nachgang“ noch besser machen zu können. Konkret vereinbare ich beispielsweise Termine für „letzte“ Nachlieferungen, Updates oder Änderungen.
  • Ich schreibe Aufgaben über einen längeren Zeitraum Tag für Tag oder Woche für Woche (auch mit Zwischentagen) fort, gebe ihnen damit eine zeitliche Tiefe zum Wachsen und Gedeihen. Ich nenne das eine „walking list“ – gemeint im Sinne einer spazierenden Liste. Wichtig ist es mir, angemessene und förderliche Strukturen und Prozesse für die lebendige Verschränkung von Person und Inhalten zu ermöglichen. Das ist „einerseits – andererseits“: Einerseits ist die Walking List eine Liste, ein Plan. Andererseits entwickelt sie sich, geht dahin, spazierend. Und ist – andere Übersetzung von Walking“: fußläufig erreichbar 😉 Sie ist „Die Regelmäßigkeit in der Unregelmäßigkeit – oder umgekehrt.
  • Damit das möglich wird und bleibt, können die folgenden mehr oder weniger klassischen Zeitmanagementzutaten hilfreich sein:
    • Zeitliche Dehnungsfugen vorsehen für dies und das, was es ja immer auch noch so gibt im (Arbeits-) Leben. Das sind 30 – 40% der täglichen Arbeitszeit.
    • Unverplante Zeiten vorhalten, weil Themen und Aufgaben weiterrutschen von einem zum anderen Tag. Auch hier sind 30 – 40% der verfügbaren täglich Arbeitszeit vorzuhalten.
    • Bleiben also 20 – 40 % für Neues. Das führt dazu, damit planvoller und vor allem sparsamer umzugehen. Die Qualität wird es danken.

Einen Versuch ist es – immer wieder neu – wert. Haken dran!

„Man muss es mit sich geschehen lassen.“ Das ist etwas anderes als (sich) abzuarbeiten.

Am Ende heißt das: Gute Zeiten.

***

Gegen das Abarbeiten kann die „Zeit zum Umklappen“ nützlich sein. Im ORTHEYs-Zeit-Satz-Variator gibt es unzählige Sätzen für gute Zeiten hier in unserem Shop.

Das Buch zum Thema heißt und ermöglicht eine Zeitumstellung 😉

Mehr zur Zeit finden Sie auch im neuen ORTHEYs-Zeitzeichen Podcast:

Und in den …

ZEITZEICHEN

Ein ABC unserer Zeit.

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€ 19,99 [D] incl. MwSt.

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Kategorien: Zeitforschung

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