Das Thema „Stimmung“ scheint derzeit viele Menschen zu beschäftigen. Manche beziehen es auf die Gesellschaft, andere auf die Politik als solche und im Speziellen, die Stimmung an den Börsen beschäftigt viele Menschen nicht nur täglich kurz vor acht, manche schauen dramatisierend oder katastrophisierend auf den Einfluss von social media-Kanälen, gewisse Kreise beziehen das Thema gerne und oft auf die Wirtschaft, oder wie aktuell auf das Handwerk – und auch bei den Bauern ist die Stimmung … na ja.

Angesichts so vieler Stimmungsmachen kriegt manche/r ihre oder seine Stimmungsschwankungen. Dabei werden immer wieder auch bewährte Stimmungskiller einberufen, beispielsweise Bürokratie und Fachkräftemangel. Undsoweiter und so heiter. Heiter ist da wenig. Meistens stimmt’s eben nicht mit der Stimmung. Irgendwas passt ja quasi immer nicht.

Da lohnt ein Blick auf die Grundstimmung.

Ich hatte das Thema Stimmung bereits im November 2020 anhand der Analogie – und insbesondere der Erfahrung – mit meinen Stimmversuchen am meiner Kirchenorgel aufgegriffen und in einigen Aspekten im übertragenen Sinne entfaltet. Nun ist es wieder geschehen. Nur anders.

Deshalb jetzt dies.

Ich besitze seit meinem 60.sten Geburtstag ein Cembalo. Ich habe mich seither eingearbeitet in dieses sehr stimmintensive Instrument. Es hat einen Holzrahmen, der immerzu arbeitet und höchst sensibel auf allerlei Umwelteinflüsse reagiert. Dadurch ist es oft und leicht verstimmt. Eine „Stimmungsmimose“. Das bedeutet: ständiges Nachstimmen. So wie im richtigen Leben auch. Wie gesagt: Irgendwas ist ja immer in unserer Umwelt, das eine Nachstimmung erforderlich macht.

Nun war es so: Als ich das Cembalo bekam, habe ich mich natürlich erst mal schlau gemacht. Und habe mich bald nimmer ausgekannt in der ganzen Unübersichtlichkeit zum Stimmen. Ich erspare mir und uns an dieser Stelle musikwissenschaftliche Feinheiten. Jedenfalls meinte ich, nachdem das auch der für eine Grundstimmung beauftragte Cembalostimmer so bestätigt hatte, das Cembalo sei auf 440 Hz zu stimmen. Das ist relativ üblich – und wird meist als Referenz genommen. Einsichtig auch für den unbedarften Laien, der sich noch fern von Diskursen zu Kammertonfestlegung, Hörgewohnheiten, Werktreue, Aufführungspraxis und solchen Aspekten bewegt, weil 440 Hz den seit 1939 in vielen Ländern gültigen Standard-Kammerton oder auch den „Normalstimmton“ a1 bezeichnet. Das hatte damals eine internationale Stimmtonkonferenz in London festgelegt und es wurde dann in DIN-Normen und 1971 von der EU weiter verfestigt. Grund genug, meinte ich, erstmal das „Normale“ zu machen.

Das hatte zudem den Charme, dass beide Instrumente – Orgel und Cembalo – im gleichen Raum gleichgestimmt sein würden und ein gemeinsames Musizieren möglich wäre. Habe ich dann auch so gemacht (außer gemeinsam musiziert ;-). Mit der Erkenntnis, dass das Cembalo diese Stimmung nie hielt, ständig nicht nur in Einzeltönen, sondern immer wieder auch komplett nachgestimmt werden musste. Und mir die Lust verging – und ich es nicht mehr spielte. Die Sache mit der (Ver-) Stimmung zog meine Stimmung nach unten. Ich wollte vorzugsweise Musik machen. Und mich nicht mit den ständigen Verstimmungen und dem permanent nötigen Nachstimmen beschäftigen. Das war für mich ein Stimmungstöter.

Irgendwann, ich hatte mich mal wieder ans Instrument gesetzt, und gerade entschieden, am kommenden Wochenende doch nochmal eine komplette Grundstimmung vorzunehmen, ging mir durch den Kopf, dass es dem Instrument so womöglich nicht gut ginge. Keine Ahnung, woher der Gedanke kam. Das Thema ließ mich jedenfalls nicht los: Dem Instrument geht es so nicht gut (es waren auch beim Stimmen bereits Saiten gerissen). Recherchieren steigerte die Verwirrung. Der Pragmatiker in mir fand alsbald, das sei doch mal ein Anlass, um zu schauen, wann es dem Instrument denn „gut“ gehe. Einige Hirnwindungen weiter entschied ich mich, mal mit dem Stimmgerät zu testen, in welchem Frequenzbereich die verstimmten Töne sich befanden und wo es das Instrument stimmungsmäßig immer wieder hinzog. Um dann – so die Idee – das gesamte Instrument dorthin nachzuziehen. Die Erkenntis daraus: Es zog das Instrument immer runter, insgesamt und in einzelnen Tönen noch mehr. Dorthin – auf 425 Hz (statt zuvor 440) – stimmte ich das gesamte Instrument. Das ist fast einen halben Ton tiefer. Ergebnis. Ich spiele wieder täglich, denn das Instrument hält die Stimmung. Nachzustimmen ist kaum noch was, selbst nicht bei Wetterwechsel. Offenbar fühlt dieses William de Blaise-Cembalo sich nun wohl. Und ich mich auch.

Was kann uns das sagen?

Es tut nicht immer wohl, so hochgestimmt zu sein, wie andere meinen, dass es sein müsste. Stimmung ist – nicht nur bei Musikinstrumenten – etwas sehr Individuelles. Die eigene Stimmung schnell der Expertise der Ratgeberliteratur und der überquellenden Selbstoptimierungsszene anzuvertrauen oder sie den Hörgewohnheiten in der eigenen Umwelt oder dem, was in allerlei virtuellen Kanälen so ausposaunt wird, anzupassen, das ist womöglich wider der eigenen inneren Natur. Womöglich hat es für einige Zeitgenoss:innen einen Charme, „in den höchsten Tönen“ gestimmt zu sein. Angeblich ist es so, dass bei höherer Frequenz insbesondere Saiteninstrumente lauter und voller klingen. Das ist ein Ideal, dem viele – auch im übertragenen Sinne – zu folgen scheinen. Womöglich hat es auch eine Attraktivität, so gestimmt zu sein, wie es präferiert, für „normal“ gehalten und beispielsweise in den Schönheitsidealen auf Instagram und Co zum Maßstab gemacht wird.

Zur Wirkung der Stimmhöhe gibt es einige fachliche und eher esoterisch anmutende Diskurse, die betonen, dass 440 Hz in der Natur nicht vorkomme, Stress auslöse und Aggressionen verstärke, hingegen 432 Hz eher mit dem Menschen, der Natur und dem Kosmos im Einklang stehe. Das ist paradigmatisch – und es ist wiederum eine richtig/falsch-Annahme. Stimmiger wäre es, zu schauen, in welcher Stimmung es mir in meinen vielen Facetten (Tönen) gut geht. Und mich dann darauf ein-, um- und durchzustimmen. Das eigene Wohlergehen ist das beste Stimmungsbarometer. Vielleicht ist das zwanghaft immerzu himmelhochjauchzende auf Dauer auch das allzu anstrengende, das zwar einer – vermeintlichen – Konvention genügt, nicht aber der eigenen Stimmungsnatur.

Die richtige Stimmung zu finden ist etwas Emotionales. Sie muss zur eigenen Person und deren Emotionen passe. Und dies durchgängig und stabil. Da könnte weniger mehr sein. Wenn ich immer darauf achten muss, durchgängig in – präferierter – höchster Stimmung zu sein, dann nehme ich in Kauf, dass ich oft oder ständig einzelne Töne nachstimmen muss, mir womöglich sogar einige verloren gehen (gerissene Saiten). Wenn ich mich selbst durchgängig etwas zurücknehme, habe ich weniger Nachstimmungsaufwand. Ich klinge für mich und andere stabiler und auf Dauer in mir stimmiger. Und ja: ich klinge auch unaufgeregter, weniger hochtönig. Eher etwas zurückgenommen. Das kann sehr entlastend und natürlich wirken. Und es ist zeitlich und emotional charmant, weil ich nicht ständig Zeit darauf verwenden muss, meine Stimmung – meist nach oben – anzupassen, um einem Stimmungsideal zu genügen, das gar nicht mein natürliches ist.

Bleiben Sie bestens gestimmt. Machen Sie Stimmung für sich selbst.

Wenn Sie jetzt noch in Stimmung sind, gibt es hier mehr zur (guten) Stimmung.

Gute Zeiten.

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Unterschiedliche Stimmungen finden Sie auch im neuen ORTHEYs-Zeitzeichen Podcast:

Und in den …

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