Dadurch, dass (in der Zeit) beim Lernen neuer Sinn für die Lernenden zugänglich wird, werden immer auch neue, andere Möglichkeiten eröffnet. Zudem steht mit dem Lernen eine bewährte und erprobte Form für den Fall bereit, wenn es mal wieder Möglichkeitsüberschuss und Entscheidungsprobleme geben sollte. Dann setzen wir auf das Anschlusslernen. Dadurch wird Lernen auch zu einem Motor gesellschaftlicher Beschleunigung. Lernen macht der Welt dadurch Tempo, dass es Aneignungs- und Ablösungsarbeit gleichermaßen leistet. Beim Lernen verlernen wir notwendigerweise immer auch etwas, das wir nicht mehr brauchen. Das entlastet – und derart erleichtert können wir (wieder) an Geschwindigkeit zulegen. Neuerdings erhöhen sich durch und beim Lernen zudem die Vergleichzeitigungsoptionen. Während ich an diesem Text arbeitete, erhielt ich eine Mail von einem Auftraggeber, der für die Trainer der Akademie auf eine Lerntransfer-App hinwies, die die TeilnehmerInnen ab sofort nutzen können. Titel „Dran bleiben“. Dort können sich TeilnehmerInnen unter anderem transferorientierte Lernziele setzen und werden von einem Online-Coach namens Eva bei deren Erreichung unterstützt. Jederzeit versteht sich – oder gerne genommen – auch gleichzeitig, wenn doch mal wieder die immer unbeliebter werdenden „Wartezeiten“ entstehen sollten. Eine Zumutung bei dem ganzen Echtzeitgetue. Oder eine langweilige Videokonferenz kann mal eben zum Check der Lernziele von letzter Woche via der App genutzt werden. Mit einem Wisch übers Display geht das ja ganz schnell. Dran bleiben!

Lernen vermittelt eine starke Zukunftsorientierung. Durch Lernen kann – als sogenannter „imaginärer Wert“ – ein Zustand zugänglich werden, der wirkt, als sei die Annahme, dass es im Leben immer auch anders kommen könnte, aufzuheben. Wir nennen diese Dynamik der scheinbaren Kontingenzbewältigung „Wissen“ und glauben, dass dies uns in Zukunft hilft. Mit dieser starken Zukunftsorientierung lenkt Lernen uns auch von der Gegenwart und ihren Problemen ab. Lernend können wir Gegenwärtiges und Vergangenes besser vergessen und uns ganz auf die wohlgeordnet erscheinende Zukunft konzentrieren – und natürlich darauf, schnellstmöglich deren möglich erscheinende Heilszustände zu erreichen. Das wirkt beschleunigend – jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, wo klar wird, dass die Zukunft doch anders kommen wird, kann oder gar: soll. Dann vertrauen wir in eine neuerliche Lernschleife, die uns mit neuen Beschleunigungsmöglichkeiten ausstattet: „Wart mal schnell!“ Wir kennen das heutzutage als „Stop and go“ auf den Autobahnen, die ja auch beides ermöglichen: viel Stauraum einerseits und dann eine freie breite Bahn, um wieder aus dem Stillstand heraus loszurasen.

Das Auto auf der Schnellstraße des Lebens ist das Lernen. Es bietet uns den (heute relativ gut geschützten) Raum für neue Beschleunigung im Fluss der Zeit. Als noch die Eisenbahn für den schnellen gesellschaftlichen Fortschritt (statt wie heute für erwartbare Wartezeiten und unerbetene Verzögerungen) stand, passte der Zug besser in dieses raum-zeitliche Bild, das uns Robert Musil beschreibt: „Der Zug der Zeit ist ein Zug, der seine Schienen vor sich her rollt. Der Fluss der Zeit ist ein Fluss, der seine Ufer mitführt. Der Mitreisende bewegt sich zwischen festen Wänden und auf festem Boden; aber Boden und Wände werden von den Bewegungen der Reisenden unmerklich auf das lebhafteste mitbewegt.“ (Musil 1978, S. 445)[1] So geht’s uns – unabhängig von Auto- oder Zug-Metapher – mit dem Lernen. Lernen ist der Raum, der uns die (immer schnellere) Bewegung in der Zeit ermöglicht, den wir – das ist der wahre Charme – auf unseren Zeitreisen immer mitführen können und in dem wir uns zugleich auf das lebhafteste bewegen können. Derart aufgehoben im Lern-Raum rollen wir die Zeit vor uns aus (und sind manchmal gar der Zeit voraus) – und führen unsere Ufer und unsere Lebhaftigkeit mit. Da gibt‘s schlimmere Zeiten.

Deshalb: Genießen sie gute Zeiten zum Lernen!

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Zeit zum Lernen, Vol. 1

[1] Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes und zweites Buch. Roman. Reinbeck 1978

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Falls Sie Zeit (und Lust!) haben, etwas über Zeit und „Zeitzeichen“ zu lernen, dann können Sie diese für kleine Lektüren in meinem neuen „ABC unserer Zeit“ nutzen. Dort finden Sie Texte und Impulse für gute Zeiten, z.B. zu den Stichworten: Abschluss – Anfang – Augenblick – Auszeit – Beschleunigung-  Chillen – Dauer – Eigenzeit – Eile – Endlichkeit – Entschleunigung – Ewigkeit – Fastenzeit – Gelassenheit – Hektik – Knappheit – Langeweile – Langsamkeit – Moment – Muße – Naturzeit – Pause – Qualitätszeit – Rasten – Rituale – Schnelligkeit – Sofortness – Sommerzeit – Stau – Takt – Rhythmus – Trödeln – Uhr – Unterbrechung – Urlaubszeit – Vergleichzeitigung – Warten – Weile – Wiederholung – Zeitfenster – Zeitfresser – Zeitmanagement – Zeitmangel – Zeitverlust – Zeitwohlstand – Zukunft – Zwischenzeit.

Gute Zeiten!

ZEITZEICHEN

Ein ABC unserer Zeit.

ISBN 978-3-7504-3216-1

€ 19,99 [D] incl. MwSt.

Hier erhältlich.

 


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