Heute ist Silvester. Das ist nach dem gregorianischen Kalender der letzte Tag des Jahres. Nach der ganzen besinnlichen oder je nachdem auch leicht depressiven Völler- und Rumhängerei in der  Weihnachtszeit und der Zeit „zwischen den Jahren“ lassen es viele Zeitgenoss*innen heute mal so richtig krachen. Böllerei statt Völlerei. Zum Abschied vom „alten Jahr“ und zur Begrüßung des neuen. Das ist vielen eine große Knallerei wert – und nicht selten im Nachgang nicht so ganz der Knaller mit einem nicht allzu kleinen Kater versehen. Meist wird Silvester in Gesellschaft verbracht und es werden Rituale und Traditionen gepflegt. Manche ziehen Bilanz, andere einen Ausblick vor. Vorsätze gibt es dann – formuliert mit leichten Eintrübungen – nach Mitternacht. Oft sind es ziemlich viele – mit übersichtlicher Halbwertszeit. Man kennt es ja – alle Jahre wieder. Und weiter geht’s im Hamsterrad. So oder so ähnlich ist die alljährliche Silvester- und Neujahrserfahrung.

In einer zeitlichen Perspektive ist der heutige Tag interessant, weil er einen Teil eines Übergangs markiert: den Abschluss des alten Jahres. Morgen am Neujahrstag folgt dann der Beginn des neuen. Beides – Abschluss und Neuanfang – sind Bestandteile eines klar markierten und begangenen Übergangs. Das ist in einer Zeit, deren Kultur tendenziell von Übergangslosigkeit und Vergleichzeitigung bestimmt ist, eher selten. Übergänge werden heute oft weggewischt, weggelassen, übergangen. Mit einem Wisch ist alles weg und ohne Zäsur etwas Neues auf dem Schirm. Ohne Abschied und Abschluss. Das ist anstrengend, denn Menschen brauchen Ordnung, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Es ist nicht alles immerzu möglich, das überfordert unser Gehirn. Deshalb brauchen wir Selektion und die mündet in Ordnungen. Auch wenn diese manchmal chaotisch anmuten, so sind es doch Ordnungen, die Vorabentscheidungen, die wir getroffen haben, konservieren. Diese Ordnungen sind selektiv – und sie haben oft zeitliche Auswirkungen. Damit wir wissen, was wann (nicht) geschieht. Teil dieser Ordnungen sind Übergänge, die wir heute gerne übergehen. Der heutige Silvestertag ist insofern eine gute Gelegenheit für einen bewusst gestalteten, einen guten Übergang. Vielleicht bekommt er ja auch Modellcharakter für kommende Übergänge, denn Übergänge bringen Leben und Arbeiten in Ordnung. Gute Übergänge folgen einer Logik, die das Münchner Original Karl Valentin präzise formulierte: „Wer am Ende ist, kann von vorne anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite.“ Heißt konkret für heute: „Dinge“, Tätigkeiten, Vorhaben, „Projekte“, Vorstellungen, Enttäuschungen, Themen gut abzuschließen, um dann offen für Neues sein zu können, das dann ohne den Ballast des unerfüllten, unerreichten, nicht abgeschlossenen Alten angefangen und verfolgt werden kann. Gut abschließen, heißt insofern, sich mit wohlwollendem Blick von „Altlasten“ zu befreien. Hilfreich ist es dabei, positiv zu bleiben und den Nutzen und den Wert des Unerledigten oder des Misserfolgs zu würdigen. „Es war gut, dass ich den Marathon nicht zu Ende laufen konnte, denn ich habe gelernt, meine Ressourcen künftig besser einzuteilen. Deshalb werde ich künftig …“ Oder: „Mein Vorhaben, täglich eine halbe Stunde zu meditieren, ist gescheitert. Deshalb höre ich jetzt auf damit. Ich bin dankbar für die Erfahrung und habe gelernt, dass ich andere Formen der Entspannung brauche. Deshalb werde ich …“

Wenn es gelingt, auch Misserfolge oder das Scheitern abzuschließen, dann wird es gelingen, die Energie für etwas Neues einzusetzen (ab morgen!). Sonst lähmt mich Misserfolgserfahrung und Enttäuschung über das nicht Erreichte. Insofern machen Sie heute mit den drei wichtigsten Themen, die Sie bedrücken oder belasten Schluss. Anschließend lassen Sie es krachen – oder machen das, was Ihnen entspricht und Ihnen Freude bereitet im Zwischenraum von Abschluss und Neuanfang an Silvester. Und morgen so ab Mittag können Sie ja, wenn Sie Lust haben, überlegen, wo Ihre Energie sie hinzieht. Auch hier gilt: Negativ-Vorsätze vermeiden, denn die werden nicht funktionieren – unser Gehirn mag das nicht und kann das „nicht“ nicht verarbeiten: Denken Sie nicht – keinesfalls! – an einen grünen Elefanten. Unser Gehirn lässt sich so nicht beeinflussen 😉 Lassen Sie insofern die „Nicht-Vorsätze“ weg und überlegen Sie, was Sie wirklich – positiv formuliert und möglichst konkret – wollen. Dabei gilt: Weniger ist mehr. Aber erst morgen! Denn heute ist die Zeit, um gut abzuschließen und dann das alte Jahr mit kleinen Ritualen und beim Feiern gut ausklingen zu lassen. Dabei darf es gelegentlich auch mal etwas mehr sein. Das macht die Erfahrung ja so besonders – wenn das Ausklingen noch lange nachklingt. Gute Abschlüsse profitieren von Ritualen, die sie festigen – und manchmal unvergesslich machen. Wenn Ihnen jetzt eine Abiturfeier oder ein legendäres Abschlussfest in den Sinn kommt, erahnen Sie den Nutzen solcher Rituale für gelingende Übergänge.

Silvester können wir als Zäsur bewusst wahrnehmen und gestalten. Heißt: den Jahresabschluss und -wechsel nicht einfach vorbeirauschen zu lassen, sondern ihn mit kleinen Situationen zu gestalten, die der Zeit, diesem Übergang, den Themen, die uns noch nachgehen und beschäftigen, eine Bedeutung, einen Sinn zu geben. So gesehen ist Silvester – wie auch morgen „Neujahr“ – ein Tag, der uns Bedeutungen bescheren kann. Wenn wir sie suchen. „Mich interessieren nicht die Fakten, mich interessieren Bedeutungen.“ Diese kluge Satz, dessen Spender mir leider abhanden gekommen ist, heißt übersetzt: Nicht die pure, aufzählende, summierende Bilanz macht Sinn, sondern die Bedeutung, die es uns gelingt, dem Positiven und auch den misslungenen Vorhaben heute an Silvester zu geben. Das macht Sinn. Alles Weitere dann ab morgen. Feiern Sie schön!

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Kategorien: Zeitforschung

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