Kann das jetzt nicht bitte endlich aufhören? „Das“ steht momentan für vieles, dessen Ende herbeigesehnt und -gewünscht wird. Ja, das wäre es dann: Nach einem – schönen, überraschenden oder je nachdem auch brutalen – Ende (endlich!) wieder etwas Anderes, etwas Neues anfangen zu können. Allein die Vorstellung birgt Energie. Kraftvoll etwas beginnen zu können, statt das Ende – erfolglos – herbeizusehnen, das macht einen Unterschied. Wobei, alles soll ja denn auch nicht aufhören. Wenn das „das“ das (eigene) Leben ist, dann doch eher nicht, nein. Wobei das „endlich“ im Ausspruch, etwas möge doch bitte „endlich aufhören“, ja auf die Endlichkeit unseres Daseins verweisen kann.

Das, was aufhören soll, das möge bitte ein Ende haben. Aber wozu? Etwa, um angesichts der Endlichkeit unseres Daseins, endlich wieder mal neue Erlebnismöglichkeiten zu haben? Das, was aufhören soll, wird als begrenzend erlebt. Und damit soll jetzt mal Schluss sein. Damit unsere begrenzte Zeit auf Erden nicht von allerlei Katastrophen limitiert werde. Sondern sie uns wieder frei verfügbar sei. Das ist zwar eine Illusion, denn diese erhoffte Freiheit gibt es nur als Freiheit, (andere) Zwänge und Begrenzungen zu wählen. Aber sei’s drum. Wieder mal – vermeintlich – frei wählen zu können, das ist die Sehnsucht hinter diesem Wunsch. Angesichts der Gewissheit der eigenen Endlichkeit, ist diese Sehnsucht verständlich. Wenn schon das Leben ein Selektionsproblem ist, bei dem notwendigerweise immer irgendwas verpasst wird, dann wünschen wir uns jedenfalls die Freiheit der Selektionsmacht. Und wollen, dass deren Fremdbestimmtheit endlich aufhört. So viel Freiheit muss sein!

Übersehen wird dabei, dass auch das Aufhören endlich ist. Noch während der Schlussakkord nachklingt, drängen sich bereits neue Begrenzungen auf und in unsere zeitlich Vorstellungswelt hinein. Die dann – Sie ahnen es – auch wieder endlich aufhören sollen. Und so geht’s munter immer weiter in unserem Zeiterleben. Jedenfalls dann, wenn wir uns auf die Sehnsucht justieren, dass etwas – bitte doch: endlich! – aufhören solle. Etwas mehr Freiheitsempfindungen verspricht der Blick auf das, was künftig begonnen oder weiterentwickelt werden soll. Ohne kräfteraubende und illusionsverdächtige Sehnsüchte, ein Blick auf die Zukunft also. Oder – noch erfolgversprechender – ein Blick auf den Moment, auf den Augenblick, auf das Hier-und-Jetzt, der frei ist vom Ballast der Sehnsüchte oder der Träume und Planungen. Moment mal![1]

Wenn es gelingt, in der aktuellen Gegenwart sein und bleiben zu können, dann ist womöglich auch irgendwann mal die Zeit reif, um aufzuhören. Endlich. Um das zu beenden, was behindert, blockiert, was lästig ist – um dann gut etwas Anderes, Neues anfangen zu können.

Mal abgesehen von den illusorischen Sehnsüchten nach dem Aufhören von Kriegen, pandemischen Situationen, Klimakrisen, Krankheiten oder Schmerzen kann – bzw. besser wohl: soll – das Aufhören ja in vielen Situationen auch aktiv gesteuert werden. Klassiker: Silvestervorsätze. Hoch ambitioniert proklamiert, engagiert begonnen – und dann bemerkt, dass das Aufhören oft so leicht dann doch nicht ist. Aufhören bedeutet Verzicht, möglicherweise auch Verzicht auf Genuss – und in einem anderen Kontext: auf sichergestellte Energieversorgung. Wenn klar wird, welche Kosten mit dem Aufhören verbunden sind und wie sich diese konkret anfühlen, dann, ja dann gibt es den Rückfall, Rückzug oder im individuellen Alltagsbetrieb meistens das sanfte Vergessen des Vergessens. Irgendwann ist Gras drüber gewachsen. War eigentlich eine schöne Idee, mit dem Rauchen aufzuhören, aber na ja …

Steuern können wir die eigene Haltung zu dem, was da so unbedingt – endlich – aufhören soll. Wenn es gelingt, diese Haltung stimmig zu gestalten – zu sich selbst, zu anderen, zur Sache, um die es geht, zur jeweiligen Organisation und Kultur unter bestimmten Umweltbedingungen – dann schaut die Welt anders aus. Dann sind unterschiedliche Perspektiven nebst ihrer Widersprüche und Ambivalenzen bedacht und so in Beziehung gesetzt, dass das gestöhnte „endlich aufhören!“ einem anderen Gefühl weichen kann. Dann ist auch klar, welche Chancen in dem liegen, was – erst mal, kurz gedacht – „endlich aufhören“ soll. Wenn das klar ist, dann kann gut abgeschlossen werden. Denn Abschließen ist etwas anderes als einfach mal „endlich aufhören“ (sollen/wollen). Ist Letzteres oft in trivialen Bildern, beispielsweise des Abschaltens, gedacht, so ist hingegen gutes Abschließen eine bewusste Handlung, bei der mit dem Alten abgeschlossen und es verabschiedet wird – und bei der Gefühle und eigene Bedürfnisse ihren Raum und vor allem ihre Zeit bekommen, um dann in die Neuorientierung zu gehen. Das wären die Elemente eines stimmigen Übergangs: Ablösung vom Alten, Gefühle und Bedürfnisse achten, Neuorientierung. Der Übergang ist eine Zeitfigur, die Ende und Anfang verbindet und nicht nur das Fragment des endlichen Aufhörens sieht. Denn es gilt, was oft – nicht nur hier – zitiert wird: „Anfang und Ende reichen einander die Hände.“ So gedachtes „ganzheitliches“ Aufhören hat und braucht seine Zeit.

Vom richtigen Zeitpunkt (endlich) aufzuhören

Jedes Aufhören hat einen „richtigen“ Zeitpunkt. Sonst wird es zum Abbruch, zum harten Schnitt, zur Störung, die lange, manchmal nie vergessen wird. Manchmal wird es auch aufgeschoben, vermieden, verdrängt – und bekommt nie seine Zeit. Wann also ist es (eine gute Zeit) Zeit aufzuhören?

Hören Sie auf sich.

Und fragen sich dieses und jenes (andere):

  • Welche Gefühle tauchen auf, wenn Sie an das Thema denken, mit dem Sie – womöglich – aufhören wollen?
  • Was macht Sie traurig? Was entlastet auch, wenn Sie abgeschlossen haben?
  • Wovon müssen Sie sich trennen/lösen, wenn Sie das Thema abschließen?
  • Was können Sie lernen, wenn Sie an Ihre Beschäftigung mit dem Thema zurückdenken? Was bedeutet dies für die Zukunft und für neue, andere Themen?
  • Was sind Ihre wichtigsten Bedürfnisse als Person? Und was bedeuten diese, wenn Sie sie auf das Thema beziehen?
  • Was ist der Nutzen des Aufhörens? Was sind die „Kosten“? Für wen?
  • Welche neuen Anfänge könnte ein Abschluss des Themas eröffnen?
  • Wie entschlossen sind sie auf einer Skala von 0 – 10 Ernst zu machen mit dem Aufhören? Was wäre bei „plus 1“ anders?
  • Wann genau (Jahreszeit, Monat, Wochentag, Tageszeit) wäre für Sie ein solches Aufhören gut aufgehoben? Und wann kommt die Kundgabe auch sicher überhaupt nicht in Frage?
  • In welchem Kontext wird der Abschluss wann und wem und in welcher Art und Weise mitgeteilt?
  • Wie wird der Abschluss angemessen gefeiert werden?

So können Sie den anstehenden Schluss (voraus) bedenken und günstigstenfalls diejenige Klarheit herstellen, die Sie brauchen, um gut aufhören zu können. Endlich.

Das ist die rationale Ebene, die Sie so oder anders fragend deklinieren können entlang der von Karlheinz Geißler 1992 in seinem Buch Schlusssituationen vorgeschlagenen Kategorien Trauer – Trennung – Transfer.[2]

Allerdings bleibt angesichts solcher Rationalisierungsanstrengungen oft eine auf- und manchmal überbordende Emotionalität, die sich – je nach Thema – auch über längere Zeiträume immer wieder meldet. Ich erlebe es gerade aktuell emotional als sehr anspruchsvoll, etwas zu beenden, was mir nahezu zeitlebens eine Leidenschaft gewesen ist. Die jetzt geschwunden ist – oder am Schwinden ist. Also endlich aufhören? Wenn das so leicht wäre. So richtig will der Ablösungsprozess nicht gelingen. Zu viele positive Erinnerungen tauchen auf, die vermeintlich (aber nur vermeintlich) für immer mit verabschiedet werden müssen. Zu viel Trauer und Trennungsschmerz kochen immer wieder hoch. Und dies im Wechsel mit sehr klaren und entschlossenen Momenten. Diese Ambivalenz macht’s nicht leichter, endlich aufzuhören.

Ganz leicht wird’s mir, wenn ich an die Chance im Aufhören bzw. danach denke, an das, was nicht mehr belastet und an das, was neu und anders möglich sein wird. Diese Perspektive versuche ich zu stärken, denn sie reicht ja in die Zukunft hinein. Dennoch: Endlich aufhören ist emotional keine leichte Übung. Aber es ist eben auch eine Übung, um sich selbst – wieder mal – neu zu (er-) finden. Und seine Zeiten.

 

P.S.: Dieser Beitrag entstand in der Karwoche und an Ostern, einer Zeit, die in christlicher Deutung dafür steht, wie Leiden, Tod und Auferstehung zusammengehören. Das Aufhören des Lebens als Voraussetzung des Wunders der Auferstehung. Und das ist wunderbarer als (nicht) geglaubt.

P.P.S: Und ja: Der fruchtbare Krieg, der möge doch bitte aufhören. Endlich!

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[1] Mein timesandmore Kollege Karlheinz A. Geißler, ist in der Osterausgabe der Süddeutschen Zeitung auf Seite drei zu finden. Titel: „Moment mal.“ Wenn Sie diesen Moment haben: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/muenchen/die-rolle-der-zeit-waehrend-krieg-und-corona-e711635/?reduced=true

[2] Geißler, Karlheinz A.: Schlusssituationen. Die Suche nach dem guten Ende. Beltz Verlag, Weinheim, 4. Auflage 2005

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Wenn Sie nicht aufhören wollen, dann hören Sie mal in den ORTHEYs-Zeitzeichen Podcast hinein:

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ZEITZEICHEN

Ein ABC unserer Zeit.

ISBN 978-3-7504-3216-1

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