„Sorry, ich bin in Eile.“ Und schon war er weg. In Eile sein ist „in“ – auch als Ausrede, die fast jede/r wohl auch deshalb akzeptiert, weil sie oder er das mit der Eile von sich selbst kennt. Einschließlich der damit verbundenen Nöte. „In Eile sein“ ist zudem das Markenzeichen der geschäftlich Erfolgreichen. Für sie ist Geschäftigkeit – und dazu gehört auch die Eile – eine Art Monstranz, die sie vor sich hertragen oder meist hetzen, um ihre Wichtig- und Heiligkeit anzuzeigen. In aller Eiligkeit versteht sich. Sprachs und verschwand. Dabei wusste schon Henry Ford, dessen geschäftlicher Erfolg außer Frage steht: „Der größte Feind der Qualität ist die Eile.“ Na ja, ist ja auch schon eine Weile her. Andererseits weiß der sprichwörtliche Volksmund, dass Eile des Teufels Bote ist. Na was nun? Einerseits sind die meisten in Eile und sie erscheint als Markenbotschaft der Erfolgreichen, andererseits ist sie Qualitätsfeind und Teufelsbote. Da stimmt doch was nicht. Aber was? Jetzt mal langsam für eine Weile …
Eile ist nicht messbar. Geschwindigkeit und Beschleunigung, Schnelligkeit, ja, aber Eile nicht. Die findet im Inneren statt, als Gefühl, sich beeilen zu müssen. Äußerer Ausdruck der Eiligen kann dann Geschwindigkeit – meist deren Übertretung im Straßenverkehr – sein. Entscheidend ist aber das innere Gefühl, „in Eile“ zu sein. Wenn ich es habe, bin ich jenseits der Normalität meines zeitlichen Seins unterwegs und fühle mich insofern meist gehetzt. Meine Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, es (noch) zu schaffen, was da gerade alles so ansteht. Gelingt das, dann ist es ein Erfolg. Der bezieht sich darauf, vieles in Eile geschafft zu haben, oft: das Unmögliche möglich gemacht zu haben. Für ein eiliges Schulterklopfen reicht das. Über die Qualität dessen, was da geschafft wurde, sagt es nichts. Insofern ermöglicht die Eile vieles. Sie treibt uns an, vieles, was im normalen Zeitmodus nicht unterzubekommen ist, zu erledigen oder zu schaffen. Oft entspricht die Zeit, die für das, was da unterzubekommen ist, zur Verfügung steht, allerdings nicht der originären Zeitlichkeit, die beispielsweise eine Sachaufgabe oder ein sozialer Kontakt braucht. Insofern ist der Preis der Eile häufig tatsächlich ein Qualitätsverlust bezogen auf diejenigen Tätigkeiten, die da alle so eilig Erledigung finden mussten. Vieles wurde erledigt, geschafft, ja. Aber das hatte Qualitätsverluste bei den Einzeltätigkeiten zur Folge, weil nicht, wie der Sache angemessen, sorgfältig oder im Kontakt wertschätzend vorgegangen werden konnte. Dass wir in Eile kommen, hängt mit der Überforderung des Erlebens durch Erwartungen zusammen. Wir denken heute oft von der Möglichkeitsseite her. Alles ist möglich und noch viel mehr. Für ein erfülltes Leben, so scheint es, braucht es viele eingelösten Möglichkeiten, die in Erlebnisse und Erfahrungen umgewandelt werden konnten. Möglichst viel in möglichst kurzer Zeit. Damit immer noch etwas (mehr) geht. Das werden dann eilige – und das heißt: flüchtige – Erfahrungen. Nicht alles was möglich ist, macht auch Sinn. Aber der FOMO-Effekt („Fear Of Missing Out) versorgt uns nachhaltig mit der Angst, etwas zu verpassen. Und schon sind wir in Eile. Und gehören insofern zu denjenigen dazu, deren Erfolg sich daran zeigt, dass ihre Zeit knapp ist. Dadurch sind sie wichtig und eilen von dannen. Und wir mit und/oder hinterher. Damit wir auch dabei sind. Aber wobei eigentlich? Beim Eilen. Oder, wenn wir es wollen, bei flüchtigen Erfahrungen, die Qualität vermissen lassen. Das ist es, was da womöglich nicht stimmt, weil es kaum stimmig werden kann, denn das Erleben von Sinn braucht seine Zeit. Und die vergeht in der Eile, in der Flüchtigkeit. Und der Sinn rinnt dahin, kommt nur verdünnt oder gar nicht mehr vor. Wir retten uns vor der gefürchteten Leere oft dadurch, dass wir eilig weiterhasten. Eile lässt vergessen, was sonst schmerzlich präsent wäre, beispielsweise Sinnfreiheit und –verdünnung. Bevor ich diese Wahrnehmung zulasse, eile ich vom Hof. Weiter, wohin auch immer. Haste hinweg von mir selbst.
„Eile mit Weile.“ So lautet der bekannte sprichwörtliche Hinweis dazu im prägnanten Deutsch. Die japanische Version ist da etwas weniger sparsam (und weniger eilig): „Wenn du es eilig hast, geh langsam. Wenn du es noch eiliger hast, mach einen Umweg.“
Wenn wir diesen Sinnsprüchen folgen wollen, sollten wir, sobald wir Eile verspüren, das Gegenteil tun: Verweilen, langsamer gehen, Umwege machen. Das macht Sinn. Und den brauchen wir zum Zeiterleben. Und deshalb noch diese Zeile zur Eile mit Karlheinz Geißler: „Es muss in diesem Leben mehr als Eile geben.“[1] Und Erich Kästner fügt hinzu: „Wer was zu sagen hat, hat keine Eile. Er lässt sich Zeit und sagt’s in einer Zeile.“ Und ja, in einer (Vers-) Zeile, nicht in abgehackten Sprachfragmenten, die die Eiligen heute oft ihren ratlosen ZeitgenossInnen hinterlassen.
Lassen sie die Eile mal für eine Weile.
Jetzt zur Sommer-Zeit.
[1] Geißler, Karlheinz A.: Es muss in diesem Leben mehr als Eile geben. Freiburg, Herder Verlag 2001
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Aktuelle Veröffentlichung zum Thema „Zeit“: Frank Michael Orthey: Im Konflikt der Zeiten. In: Die Mediation. Fachmagazin für Wirtschaft, Kultur und Verwaltung. Ausgabe III/2018, Steinbeis Stiftung, Stuttgart, S. 17 – 21
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