In der Nacht zum Sonntag war es wieder so weit. Wir durften eine Stunde länger schlafen. Wegen der Uhrumstellung – oft als „Zeitumstellung“ bezeichnet  – erhielten wir die im Frühjahr „verlorene“ Stunde nun wieder zurück. Womöglich ist es mit diesen regelmäßigen Zeitverlusten und -gewinnen nun bald vorbei. Nach einer Befragung, bei der 4,6 Millionen EU-Bürger für eine Abschaffung plädierten, sind die Bemühungen, uns diesen Uhrumstellungsturnus zu nehmen, in vollem Gange. Einstweilen wir auf diese Entscheidung warten, widme ich mich anlassgemäß in diesem Blog einer kleinen Geschichte der Zeitmessung. Könnte ja sein, dass sich jemand die Frage stellt: Wie konnte es so weit kommen mit unserer Zeit (-messung)?

Die Einteilung von Tag und Nacht in zwölf Teile kannten zwar schon die Babylonier – eine exakte Uhrzeit spielte für unsere Vorfahren aber sehr lange keine Rolle. Man orientierte sich an natürlichen Abläufen wie dem Stand der Sonne und verabredete sich einfach zum Hahnenschrei am Morgen – oder eben zur Dämmerung. Die Zeitrechnung war an natürlichen Rhythmen orientiert. In Ägypten hatte das Jahr drei, an den bäuerlichen Arbeitszyklus angelehnte Jahreszeiten: Überschwemmung, Aussaat und Ernte. Das älteste Zeitmaß ist der Wechsel von Tag und Nacht. Insofern wurde Orientierung mit Hilfe des Sonnenstandes bzw. des Grades der Helligkeit und Dunkelheit gesucht und gefunden. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang begrenzten den Arbeitstag. Kleinere Zeiteinheiten zu messen war nicht notwendig. Um Zeitpunkte zu benennen, sagten die Menschen „nachdem der Hahn gekräht hat“, „in der größten Mittagshitze“ oder „bei Einbruch der Dunkelheit“ bzw. „nach Sonnenuntergang“ oder „mitten in der Nacht“. In einer Epoche, in der fast alle auf dem Land und von der Landwirtschaft lebten, reichte dieses grobe Zeitraster völlig aus.

Einen Kalender gab es allerdings bereits: Die Julianische Kalenderreform legte bereits 46 v. Chr. das Jahr mit 365 Tagen und einem Schalttag im vierjährigen Rhythmus fest. Der erste Tag des Monats Januar wurde als Jahresbeginn festgelegt – vorher war der Jahresbeginn mit der Vegetationsperiode im März gekoppelt. Die Jahreszeiten erhielten gleichbleibende Längen, die Monate wurden vom Mondlauf abgelöst. Der Trend zur „Zeitmessung“ begann aber schon vorher: Erste Sonnen- und später Wasseruhren wurden in Ägypten ca. 1380 vor Christus nachgewiesen. Auch Sanduhren sorgten bereits im 14. Jahrhundert für die Messung der Zeit im Alltag der Herrschenden. Wasseruhren hatten gegenüber Sonnenuhren den Vorteil, dass sie auch im Haus und nachts Verwendung finden konnten. Sie kamen ca. 425 v. Chr. nach Griechenland. Platon baute einen Wasseruhren-Wecker für die Studierenden an der Akademie. Zudem waren Wasseruhren bei Griechen und Römern bei der Begrenzung von Redezeiten vor Gericht nützlich. Auch Chinesen und arabische Ingenieure bauten zum Teil monumentale Wasseruhren mit aufwändigen Getrieben. Für zeitliche Synchronisierungs- und Koordinierungsleistungen über Entfernungen taugten sie aber nichts. Ebenso wenig wie Feuer-, Kerzen-, Öllampen und Räucherstäbchenuhren.

In Klöstern gab es allerdings das Bedürfnis, die Zeit genauer und in kleineren Einheiten fassen zu können. Abt Benedikt von Nursia, Gründer des Benediktinerordens hatte im Jahr 529 in den Ordensregeln feste Zeiten für die Gebete, die Lesungen aus der Heiligen Schrift, für Mahlzeiten, Arbeit und Schlaf erlassen. Um diese Vorschriften einzuhalten, gab es für die Brüder nur die Möglichkeit, die Zeit genauer zu messen und strikt einzuteilen. Die Mönche zerlegten also jeden Tag und jede Nacht in zwölf exakt gleiche Abschnitte. Dabei verstanden sie unter einem Tag den Zeitraum, in dem es hell war, und unter einer Nacht die Zeit, zu der es dunkel war. Dadurch waren die Stunden je nach Jahreszeit unterschiedlich lang, eine „Tagstunde“ etwa dauerte im Sommer bis zu 80, im Winter dagegen nur rund 40 Minuten. Nur am 21. März und am 21. September, wenn Tag und Nacht gleich lang sind, entsprach eine damalige Stunde einer unserer heutigen Stunden.

Der „Durchbruch der Zeitmessung“ gelingt erst ausgehend von einem Gerät, das im 13. Jahrhundert in Paris am Hofe Ludwigs IX. entwickelt worden sein soll. Angeblich taucht der Begriff „Uhrmacher“ erstmalig 1269 n.Chr. auf einer Bierrechnung auf. Dass das in einem Kloster (Beaulieu) gewesen sein soll, ist kein Zufall – oder einfach eine gute Geschichte, die zeigt, dass das Thema in dieser Zeit Konjunktur hatte. Um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert setzte eine an der Mechanik orientierte Zeitmessung ein. Die Zeit wurde damit abgelöst von natürlichen Maßen in „objektive“ Gegebenheiten zerlegt, die unabhängig von äußeren Bedingungen festgelegt sind. Räderuhren fanden – aus den oben genannten Gründen – zunächst in den Klöstern Verwendung. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts, so Karlheinz Geißler, sah man dann besonders in Italien Uhren auf öffentlichen Plätzen. Die erste urkundliche Erwähnung einer mechanischen Uhr stammt nach heutigem Wissen aus dem Jahr 1335. Das technische Meisterwerk war damals in der Kapelle des Mailänder Palastes der Visconti zu besichtigen. Nun ist einiges los in der Branche: es erscheinen immer prächtigere und imposantere, kunstvolle Turmuhren. Sie werden mit Schlagwerken versehen. Die Zeit wird hörbar, damit allen klar ist, was denn die Stunde geschlagen hat.

Der Weg zur exakten Stunde begann ab dem 14. Jahrhundert, als sich die mechanischen Uhr- und Schlagwerke von Italien aus in ganz Europa verbreiteten. Fortan wusste jeder Bürger der Stadt, wie lange genau er sein Handwerk ausüben durfte oder wann er zu einer Ratssitzung erscheinen musste. In den folgenden Jahrhunderten wird die Genauigkeit der mechanischen Räderuhren zunehmend verbessert. Mit diesen ist neben Genauigkeit auch Synchronisation möglich. Um 1500 waren die Gewohnheiten der Städter soweit fortgeschritten, dass man nicht mehr nur nach Stunden, sondern in verfeinerter Form rechnen wollte und musste. Es wurden Minutenzeiger an den Turmuhren befestigt. Die Uhrentechnik wird, u.a. durch die Vertikalpendel und die Nutzung der Spiralfeder mit der Räderuhr immer weiter verfeinert. Ab 1504 konnte durch Einbau einer Spiralfeder mit „Unruhe“ die Uhr auf Taschengröße verkleinert werden (Peter Henlein, Nürnberg).

Im 17. Jahrhundert folgt die Erfindung und Einführung des Sekundenzeigers. Kaufleute, Staatsmänner und Militärs fördern die Verfeinerung des mechanischen Instruments. Das Uhrmacherhandwerk hatte Konjunktur, die Uhr wurde an den Höfen zum beliebten Geschenk. Die mechanischen Uhren, die anfangs Gangdifferenzen von 15 Minuten am Tag aufwiesen, wurden im Laufe der Jahrzehnte genauer – nur gingen sie von Stadt zu Stadt anders. Wenn die Uhr in Köln die vierte Stunde schlug, konnte es in Düsseldorf bereits die sechste sein. Jeder Ort hatte gewissermaßen seine eigene Zeitzone. „Die“ Uhrzeit gab es nicht. Diese „Ungleichzeitigkeit“ fiel allerdings kaum auf, da Verbindungen zwischen Städten ohnehin nur durch lange, beschwerliche Reisen möglich waren.

1793 erließ der Nationalkonvent auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution ein Gesetz, das die Zeitrechnung völlig neu ordnete. Der 22. September wurde zum Neujahrstag; die Woche wurde zugunsten von 10-tägigen Dekaden abgeschafft, die tag zählte 10 statt 24 Stunden und jede Stunde 100 statt 60 Minuten. Das war angesichts der Radikalität der Veränderung nicht haltbar. Nach 12 Jahren führte Napoleon 1806 den Gregorianischen Kalender wieder ein – auch Mussolini hatte später mit seiner Neuregelung des Kalenders kein Glück.

Der Bedarf nach einer synchronen Zeit für alle entstand erst ab dem 18. Jahrhundert, als Verkehr und Handel stark zunahmen. Zunächst war es die Post, die eine einheitliche Zeit brauchte, um „pünktlich“ sein zu können und sich nicht zu „verspäten“. Endgültig vom Rhythmus der Natur löste sich die Zeitrechnung dann in den Fabriken des beginnenden industriellen Zeitalters. Zeit wurde zum wirtschaftlichen Gut, das knapp, begrenzt und umkämpft war. Erst jetzt verbreiteten sich öffentliche Zeigeruhren mit Minuten- und Sekundenanzeige, mit denen sich die Zeit exakter unterteilen und berechnen ließ. Eine verbindliche, im ganzen Land einheitliche Zeit gibt es in Deutschland seit 1893. Die Eisenbahn mit ihren minutengenauen Fahrplänen hatte diese Gleichtaktung des ganzen Reiches nötig gemacht. Ab 1906 werden über Funk Zeitsignale ausgesendet, die die sogenannten „Normaluhren“ in allen Ländern der Welt aufeinander abstimmen. Quarz und Atomuhren trieben dann die Synchronisationsgenauigkeit weiter voran.

Die Uhr tauchte ab dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend auch am Arm auf als Damen begannen ihre kleinen Taschenuhren am Handgelenk zu tragen. Mann trug zunächst noch die Taschenuhr an der Kette. Deren Gebrauch stellte sich auf die Dauer aber als unhandlich heraus. Soldaten, die ihre Hände frei benutzen mussten, erkannten bald den Vorteil einer Armbanduhr. 1880 begann eine der ältesten Schweizer Uhrenmanufakturen, Girard-Perregaux, Armbanduhren herzustellen, die die deutsche Marine in Auftrag gegeben hatte. Heutzutage sind Armbanduhren eher Schmuckstücke statt nützliche Zeitmesser. Die „Zeit“ ist weltweit synchronisiert. Schauen Sie einfach auf ihr Smartphone. Da müssen Sie auch nichts umstellen bei der Uhrumstellung. Das geht – wie vieles andere auch – ganz ohne Ihr Zutun.

Apropos: Nachdem 1893 in Deutschland die mitteleuropäische Normalzeit die vorher vorherrschende „(Uhr-) Zeitenvielfalt“ abgelöst hatte, wurde staatlicherseits dreimal an der Uhr gedreht: Das erste Mal während des Ersten Weltkrieges (1916 – 1919), das zweite Mal während des Zweiten Weltkrieges, das dritte Mal als etwas verspätete Reaktion auf die Ölkrise – und unter dem Druck der europäischen Nachbarn. Auch im Nachkriegsdeutschland wurde an der Uhr gedreht: 1947 und 1949 gab es eine Hochsommerzeit. Da wurden die Uhren noch einmal eine Stunde vorgestellt. Durch alle dieser Drehereien an der Uhr sollte das Tageslicht besser ausgenutzt bzw. Energie gespart werden (was sich allerdings nicht bestätigte). Die Uhrumstellung war dazu das Kriseninterventionsinstrument. Heutzutage sind diese Anlässe und Voraussetzungen nicht mehr gegeben. Geblieben ist die zweimalige Rumfummelei und Verwirrung pro Jahr. Aber damit soll ja jetzt bald Schluss sein.

Quellen:

Geißler, Karlheinz A.: Zeit leben. Vom Hasten und Rasten, Arbeiten und Lernen, Leben und Sterben. 3. Auflage, Weinheim 1988

Orthey, Frank Michael: Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Haufe Verlag, Freiburg 2017

http://www.dhm.de/blog/2016/10/28/die-geschichte-der-uhrzeit/ https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Zeitmessger%C3%A4te http://www.spiegel.de/spiegelgeschichte/die-entdeckung-der-zeit-a-1015939.html

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Kategorien: Zeitforschung

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