Ich weiß nicht, wie das geht. Ich höre es aber ziemlich oft. Das „Chillen“. Meine Neffen und Nichten berichten mir von etwas, das damals – „zu meiner Zeit“ – manchmal noch „Faulenzen“ genannt wurde. Ich denke jedenfalls, dass es sich um so etwas handeln muss, wenn ich Jugendliche bei dem beobachte, was sie so nennen. Sie „hängen dann ab“. Und tun … Nichts. Na ja, oder jedenfalls das, was heute so unter „nichts“ läuft. Erkennbar ist das meist an Kopfhörern und dem Blick auf einen Bildschirm, auf dem vermutlich irgendwelche chilligen Serien laufen. Wobei ich auch manche Jugendlichen kenne, die tatsächlich nichts tun, einige schlafen sogar. Irgendwie find‘ ich „Chillen“ auch besser, heute würde man wohl „cooler“ sagen, als „Faulenzen“. Da gefällt mir der leicht kritische Unterton nicht, der vom „Faulenzer“ mitschwingt, der ja nicht gerade auf der Pole Position der anerkannten Ruheformen steht. Manchmal wenn ich jugendliche Menschen beim Chillen sehe (andere sehe ich nicht dabei) denke ich, dass da gerade die Wiederentdeckung der klassischen Muße an- und abläuft. Damit war ja Verzögerung, Langsamkeit, Ruhe und Zurückgezogenheit gemeint und ihr wurde kreative und charakterbildende Wirkung zugeschrieben. Jedenfalls solange, bis die Kirche sie zum Müßiggang abwertete, der aller Laster Anfang sein sollte. Über ihre moralisierenden Ausläufer im Alltag der Gläubigen wurde mit dem Faulenzer noch einer draufgesetzt. Das war auch so ein nichtsnutziger Zeitgenosse. Die modernen Industriegesellschaften gingen mit Menschen, die ihre Zeiten selbstbestimmt und auch mal gerne in Ruhe verbrachten, nicht eben wertschätzend um. Versehen mit den klar bewertenden Beimischungen der großen Kirchen wurde so eine Leistungsgesellschaftlichkeit befeuert, deren kritische und teilweise fatale Folgen wir aktuell am Hals haben (bei vielen ist es der eigene, den sie zuvor nicht voll bekommen konnten). Hohe Burn-Out-Quoten und vieles andere Rumgekränkele mehr werden heute mit viel Chemie in bunter Mischung mit dosierten teuren Auszeiten bekämpft. Um bald wieder ins Produktivitätsmuster von Hektik und Zeitverdichtung zu verfallen. Schön, dass uns nun die junge Generation nicht nur ein neues Wort gegeben hat, sondern uns auch zeigt, wie das geht. Die natürlich – wie seit Generationen üblich – bald erscheinenden, Zeigefinger schwingenden und warnenden, den unübersehbaren Zerfall heraufbeschwörenden Weltversteher, -erklärer und –verbesserer ignorieren sie chillig. Ich finde das ziemlich lässig. Es gibt im Repertoire der Eigenzeiten der Chill-Generation etwas, das in meinem gesetzten Alter Hoffnung macht auf die Wiederentdeckung zeitlicher Vielfalt und die Verabschiedung des Immer-Weiter-Beschleunigungs- und Vergleichzeitigungs-Paradigmas. Mir gefällt das.

Wenn ich allerdings sage: „Ich bitte Dich, jetzt chill mal!“ oder meinen Mittagsschlaf in diesem Wording ankündige, finden das derart angesprochene Menschen meistens völlig unentspannt, unchillig, weil es sprachlich doch etwas Bemühtes hat. Liegt wohl am Alter. Anziehen darf ich mich wie ich will, aber sprechen nicht. Find ich unchillig. Sorry: Unentspannt, wollte ich schreiben. Ich geh‘ jetzt mal chillaxen. Dieses Kofferwort ist altersgemäß eine für mich noch anschlussfähige Wortschöpfung. Denn nach den Zeiten des doch etwas ambivalent besetzten Faulenzens erinnere ich mich an Menschen, die „relaxten“. Und sich dabei Zeit nahmen, um sich zu entspannen. Sich eine Pause gönnten. Etwas Anderes oder eben nichts machten. Na, wenn ich denn schon nicht chillen darf, dann eben chillaxen. Ist doppelt gemoppelt, vielleicht hält‘s dann ja besser. Hauptsache ich hab‘ meine Ruhe!

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Kategorien: Zeitforschung

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