„Haben Sie nächste Woche ein kleines Zeitfenster für mich?“ Das hörte und las ich von Zeit zu Zeit öfters. Und war verwirrt. Was war gemeint? Ein Fenster mit Blick auf die Zeit? Oder eines, das aus Zeit besteht?
Angesichts der unübersehbaren begrifflichen Karriere des „Zeitfensters“ ist mir mittlerweile bewusst, dass es darum geht, einen Termin zu bekommen (ich bin ja nicht von gestern ;-). Ich soll prüfen, ob in meinem Terminkalender eine zeitliche Lücke ist. Eine kleine, versteht sich. Nach einem großen Zeitfenster hat mich noch nie jemand gefragt. Kleine Zeitfenster sind heutzutage gefragt. Mehr ist meist nicht drin bei den geplagten Meistern der Zeitverdichtung und Vergleichzeitigung.
Als ich mal wieder ein kleines Zeitfenster für mich hatte (weil jemand, der eines haben wollte, es kurzfristig nicht nutzte), habe ich gegoogelt. Das ist ja heute so üblich, und auch ich kann mich dem Charme dieser schnellen Recherchemöglichkeit nicht entziehen (besonders dann, wenn die Zeitfenster klein sind). Bei Wikipedia fand ich:
„Ein Zeitfenster ist ein für eine bestimmte Aufgabe zur Verfügung stehendes Zeitkontingent (maximal verfügbare Zeitspanne). Zeitfenster existieren in allen Bereichen und Situationen. Der Begriff wird so vor allem in der Technik und in der Betriebswirtschaft verwandt (Arbeits-, Projekt- und Aufgabenzeit). (…) Zeitfenster spielen bei Projektierungen eine große Rolle, weil meistens jedes Teilprojekt von anderen vollendeten Teilprojekten abhängig ist. Durch die Festlegung der Zeitfenster kann erst eine Vorhersage für die Fertigstellung eines Projekts stattfinden. Bei Zeitfenstern wird daher immer ein Zeitpuffer eingerechnet (derjenige Zeitraum, der tatsächlich notwendig ist plus der Zeitraum, der als Sicherheitsreserve fungiert). Wird ein Zeitfenster überschritten, kann es zu Verzögerungen im Nachlauf kommen. In bestimmten Bereichen, beispielsweise in der Technik ist gar zudem ein Systemausfall, ein Unglück oder der Eintritt von Chaosreaktionen im Sinne der Chaostheorie möglich. (…)“[1]
Oje, kenne ich, denkt sich da wohl mancher oder manche, der- oder diejenige tagtäglich (nicht nur) zeitliche Chaosreaktionen zu bewältigen hat. Da wurde wohl wieder mal ein Zeitfenster „überschritten“. Wobei das sprachlich nicht stimmig ist. Ein Zeitfenster müsste doch eigentlich geschlossen, herausgebrochen oder zerdeppert werden. Oder vielleicht großflächig erweitert zur postmodernen vollverglasten Zeit-Fassade. Aber ich schweife ab (das kann ich gut). Ich wollte ja Licht ins Dunkel der begrifflichen Metapher vom Zeitfenster bringen. In dieser Angelegenheit war ich, wenn ich nun Wikipedia folge, jedenfalls der Illusion erlegen, es handele sich um einen flotten alltagssprachlichen Begriff. Beileibe nicht, wie der Online-Alleswisser zeigt, denn da steckt etwas Substanzielles dahinter. Ob das denjenigen, die mich nach einem Zeitfenster fragen, klar ist, wage ich zu bezweifeln. Mir ging es ja genauso.
Der Duden, den ich anschließend befragt habe, ist bescheidener und sparsamer. Sein Angebot passt eher zur alltagssprachlichen Verwendung, wie ich sie erlebe – und verstanden hatte.
„Zeitfenster, das
begrenzte Zeitspanne, begrenzter Zeitraum zwischen zwei oder mehreren zeitlich bereits festgelegten Geschehnissen, Vorgängen o. Ä. (innerhalb dessen etwas geschehen, stattfinden sollte)“
O.k. soweit. Wir können also weiterhin nach Zeitfenstern fragen und welche vergeben – im Sinne begrenzter Zeiträume, die wir zwischen dem einen und dem anderen Geschehnis zur Verfügung stellen, damit etwas Bestimmtes geschehen oder stattfinden kann oder soll. Um dann gemeinsam … Ja was eigentlich? Hinauszuschauen? Den Ausblick zu genießen? Oder die gemeinsame Zeit im Fenster zu verbringen, zu teilen? So wie das ältere Ehepaar auf dem Dorf, das tagtäglich Schulter an Schulter aus dem (Zeit-) Fenster gelehnt, aufmerksam die Geschehnisse und das Treiben auf dem Dorfplatz verfolgt. Da wird die gemeinsame Zeit im Zeitfenster zum rituell geteilten Beobachter-Erlebnis. Alternativ könnte das Zeitfenster hin und wieder mal gescheit geputzt werden. Damit es wieder Durchblick ermöglicht. Oder gestrichen werden könnte der Rahmen, damit das Fenster wieder mal gut ausschaut. Gelegentlich könnte es auch ganz erneuert und ersetzt werden durch ein hochwertiges neues. Damit es Schutz gegen Einbrecher – die berüchtigten „Zeitdiebe“ – bietet. Tja, Zeitfenster brauchen Pflege und manchmal auch Erneuerung, damit sie gut genutzt werden können für das, was in ihnen geschehen soll. Und: Sie sind begrenzt – wie uns Wikipedia lehrt. Das ist doch der Charme der Metapher – und der Wirklichkeit, die sie beschreiben soll. Nicht unendlich, sondern klar begrenzt und – bestenfalls – gut und schön (bunt) gerahmt. Insofern passt die Metapher vom Zeitfenster recht gut zum Bild von gut gerahmten, gepflegten und begrenzten Zeiträumen. Auch als Gegenentwurf zur verspiegelten postmodernen Zeitfassade, die suggeriert, dass alles (scheinbar) transparent, schier unendlich und gleichzeitig möglich ist oder wird. Bis sich der derart verblendete Mensch in ihr verliert – wie im gläsernen Spiegel-Labyrinth. Ein Zeitfenster hingegen bietet in seiner Begrenztheit Sicherheit. Manch einer oder eine sperrt das Fenster auch ab oder vergittert es sogar. Und schützt die eigenen Zeitfenster – oder was sich dahinter verbirgt – vor fremden Zugriffen. Oder macht die Fensterläden zu, um die eigene Zeit vor fremden Blicken zu schützen. Manchmal eine ganz gute Idee angesichts des Transparenzwahnsinns von gemeinsamen Outlook-Kalendern, wo alle auf alle Zeiten Zugriff haben. Einen weiteren Aspekt beschert uns Wikipedia, um die Alltagstauglichkeit unserer Zeitfenster zu erhöhen: „Bei Zeitfenstern wird daher immer ein Zeitpuffer eingerechnet (derjenige Zeitraum, der tatsächlich notwendig ist plus der Zeitraum, der als Sicherheitsreserve fungiert).“ Das ist eine gute Idee. Schützt sie doch letztlich vor den gefürchteten Chaoserfahrungen. Also: Gute gepflegte und gerahmte Zeitfenster mit ausreichendem Zeitpuffer ermöglichen geteilte Zeiträume zwischen zwei oder mehreren Geschehnissen. Derart interpretiert, bietet das Zeitfenster eigentlich ganz charmante Ausblicke. Und ein weiteres noch: Ein Haus besteht nicht nur aus Fenstern. Eigentlich sind die Fensterflächen nur ein vom Bauherrn und Architekten bestimmter Anteil an der Außenfläche des Hauses, um das Haus mit Luft und Licht zu versorgen. Zudem gibt es noch feste Wände, Dächer, Türen und Tore. Und innen spielt sich das eigentliche Leben ab. Ein Leben, auf das die Zeitfenster nur einen sehr begrenzten Einblick bieten. In diesem Sinne vergebe ich auch weiterhin kleine Zeitfenster – wenn Sie mich denn danach fragen.
Und bei alledem: Vorsicht bitte. Stürzen Sie nicht aus Ihrem Zeitfenster.
Ich wünsche Ihnen schöne Zeiten in und hinter Ihren Zeitfenstern!
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Wenn Sie ein kleines Zeitfenster für weitere Zeitfragen haben, dann gibt es für weitere Ausblicke auf das Thema:
Frank Michael Orthey: Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Haufe-Lexware.
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[1] https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Zeitfenster_(Zeitraum)&oldid=164057809 (Abgerufen: 13. April 2017, 17:05 UTC)
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