Während wir zur Sommerzeit so vor uns hin schwitzen, schleichen sich gelegentlich Gedanken in unser erhitztes Hirn, die Zusammenhänge mit der Erderwärmung und dem Klimawandel herstellen. Um dann gleich wieder verworfen zu werden – mit Hilfe von Alltagstheorien, unter anderem derjenigen, dass es Hitzewellen schon immer gegeben habe in der Menschheitsgeschichte. Selbstberuhigungstheorien eben. Wie auch immer einzelne Zeitgenoss*innen dem Thema vereinfachend begegnen, sei dahingestellt, es ist ja auch schwierig genug da durchzublicken – nicht nur unter Hitzeeinfluss, denn die Faktenlage ist unübersichtlich. Und dann ist da die Frage, was denn überhaupt „Fakten“ sind heutzutage in den überstrapazierten „postfaktischen Zeiten“. Aber ich schweife ab, die Hitze eben. Entscheidend ist: Die Gedanken tauchen auf, das Thema ist da. Nicht nur im Sommer (auch im Winter, wenn es schneit und es Schneemassen gibt). Das Auftauchen des Themas ist der Fortschritt. Ob die Halbwertszeit zwischen Gedanken und Handlungen ausreichend ist, um zu global wirksamen Maßnahmen zu kommen, um der Klimakatastrophe noch zu entkommen, ist offen, für viele fraglich. Mit dem Unterton der Verzweifelten weisen einige darauf hin, dass doch spätestens seit dem Club of Rome-Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ 1972 das Umweltthema jenseits der einschlägigen Fachdiskurse in einer breiten Öffentlichkeit angekommen sein müsste. Zwar war damals noch umstritten, ob sich der Klimawandel in Richtung Abkühlung oder Erwärmung entwickeln würde, aber dass da was im Busch war, das war kaum zu übersehen. Mitte der 1970-er Jahre war erstmalig von globaler Erwärmung („Global Warming“) die Rede. Und davon, dass diese Klimaerwärmung von Menschen gemacht sei. Trotz lauter werdender Stimmen, der Zunahme des ökologischen Bewusstseins nebst dessen Einsickern in die Politik und schwer widerlegbarer Daten führte das Thema ein politisches und mentales Schattendasein. Zu stark wirkte die ökonomisch dauerbefeuerte „organisierte Unverantwortlichkeit“ (Ulrich Beck)[1]. Soviel zur Halbwertszeit von wirkungsvollen Veränderungen, stöhnen andere Zeitgenoss*innen. Auf ihren Gesichtern breitet sich leichte Entspannung aus, wenn Gesprächspartner*innen an die Wirksamkeit der von Greta Thunberg und vielen tausenden von Schülerinnen und Schülern unterstützten „fridays for future“-Bewegung erinnern. Obwohl aufgefordert, in Panik zu geraten, macht sich bei den derart Angesprochenen Optimismus breit – jedenfalls bezüglich der neuen Halbwertszeiten der neuen Modelle zur mentalen Einflussnahme.[2] Wie sich diese Zeitlichkeit in Handlungen fortsetzt für eine globale Zukunft der Menschheit, das ist eine andere Frage, die aber auch etwas optimistischer gestellt wird als vor der Zukunftsinitiative der Schüler*innen.

Sie bemerken es: In dem Thema steckt viel Zeit. Es ist mit Zeit fest verbunden. Sowohl in einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive, also mit Blick in die Vergangenheit der natürlichen Klimaentwicklung und ihrer widernatürlichen Störgrößen, die uns den jetzigen Salat beschert haben. Und selbst wenn der Salat ökologisch angebaut ist, hat dieser Anbau und sein Vertrieb weitreichende, kaum zu errechnende Auswirkungen auf das Klimathema. Damit sind wir in der Gegenwart und bei Fragen, welche Einflüsse unser Umgang mit Zeit auf das aktuelle Klimageschehen hat. Diese Gedanken mache ich mir bei etwa 30 Grad in mittels eines Ventilators leicht gekühltem Ambiente. Viele andere sitzen beim Arbeiten in klimatisierten Räumen, wohin sie (allein) in klimatisierten Autos oder (nicht ganz allein) in nicht ganz zuverlässig klimatisierten Zügen gelangt sind. In diesen Vehikeln der Mobilität steckt unglaublich viel klimarelevante Zeit, zum Beispiel die Zeit für das Entstehen der Rohstoffe, für Produktion, Transport, Umwandlung und Verbrauch der erforderlichen Energie oder die Zeit für den Transport der Baugruppen und Teile an den Produktionsstandort. Die Arbeiter, die Züge, Flugzeuge und Autos zusammenschrauben, haben auch Zeit gebraucht, um dorthin zu gelangen. Zeit, die klimarelevant ist. Undsoweiter. Wenn Sie weiterdenken, werden sie erkennen, dass das Thema Zeit fest mit dem Thema der widernatürlichen Klimaveränderung gekoppelt ist. Unterm Strich und vereinfacht: Dadurch, dass die Menschheit den Paradigmen der Beschleunigung und Vergleichzeitigung zugunsten eines (vermeintlich) besseren (längeren?) Lebens erlegen ist, werden Dynamiken in Gang gesetzt, deren Einflüsse wider der Zeitlichkeit der natürlichen Klimaentwicklung wirksam werden.[3] Zeitmaßgeber dieser Entwicklung waren u.a. die Kirchen und Gemeinwesen (durch die Verbreitung der Räderuhren) und dann vor allem die Kräfte der Ökonomie, die die Uhrzeit zur Beschleunigung der Produktionsapparate nutzten und nutzen. Diese time-is-money-Kräfte sind gegenwärtig kaum in Frage gestellt, denn parallel hat sich die Durchtaktungserfahrung der beschleunigten Moderne auch psychisch und mental verankert. Wir haben innerlich das Zeitmodell der Ökonomie übernommen und verbringen unseren Alltag und auch unseren Urlaub zeitlich nahezu projektförmig organisiert (und paradoxer Weise als „Auszeit“ benannt) in den gleichen Zeitmodellen wie unsere Arbeit. Die heute gerne genommenen Burn-Out-Erkrankungen, vielfältige körperliche Überlastungssymptome und die ungebremste Konjunktur des sogenannten Zeitmanagements sind die Folgen. Wer weiterdenkt, gerät leicht durcheinander und in die Verzweiflung. Jedenfalls bis zu den Freitagen, als Schüler*innen das Zeitdiktat der pädagogischen Institutionen der Schulen missachteten und den Klimawandel auf die Straßen brachten. Erstaunlich einfach gelang es ihnen – anderen, älteren Menschen wäre es wohl kaum so wirkungsvoll gelungen – das Thema (im wahrsten Sinne des Wortes) „auf den Schirm“ zu bringen. Jugend vermittelt offenbar das Zukunftsthema besonders glaubhaft – insbesondere dann, wenn das mit Musterbrechungen verbunden ist (konkret wird u.a. die Zeit für Schulunterricht in Zeit für Klimaschutz-Demonstrationen umgewandelt). Und jetzt ist plötzlich (viel mehr) Zeit fürs Klima. Aller Orten und zu vielen Zeiten, in den Familien, in den Freundeskreisen, an den Stammtischen, im Netz, in den politischen Parteien und Gremien, in den Organisationen und Vorständen und auf den Straßen der Innenstädte und auf den Fernstraßen, wo zunehmend mehr E-Mobilität Einzug hält. Auf die wird gesetzt – und (fast) alles andere verdammt und abgewertet. „Modernisierung“, so habe ich das enthemmte Veränderungsgeschehen 1997 genannt[4], produziert ihre Umkippeffekte immer gleich mit. Und so werden denn auch schnell neue Abgrenzungen hochgezogen (Klimabewusste versus SUV-Fahrer) statt in der Vielfalt und in Diskursen gemeinsam Lösungen zu suchen und zu finden. Abgesehen davon, wieviel Nebenwirkungen der Hype um die E-Mobilität erzeugt, die massiv klimarelevant erscheinen (Produktion, Batterietechnik, Stromerzeugung usw.), scheint es so, als verbleibe die Sensibilisierung auf dem Niveau oberflächlich sichtbarer Symptome. Kein Wunder, es muss ja jetzt schnell gehen, sonst ist die Zukunft vorbei, bevor sie angefangen hat. Das heißt in einer Zeitperspektive: Das Problem wird mittels der Muster des Problems bekämpft, die damit stärken werden (allerdings bekommt das alles noch schnell ein Schild mit „Nachhaltigkeit“ umgehängt und wird noch flugs zertifiziert, denn solche Akte der Ästhetisierung beruhigen). Mehr Beschleunigung und Vergleichzeitigung führt zu Mehr-Desselben. Und zwar nicht nur zeitlich, sondern auch bezogen auf widernatürliche Klimabelastungen. Energieaufwände steigen, Reisetätigkeiten und globale Interaktionen nehmen zu. Bevor dies alles – hoffentlich mittels der unbestechlichen Präzision künstlicher Intelligenz – seine Berechnungen erfährt, wage ich die Hypothese, dass wir so weiterkommen: Immer weiter hinein in die wirkungsvolle Untergrabung der Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten (und womöglich darüber hinaus). Der Fortschritt, den wir da vermeintlich gestalten, folgt den Fortschrittsmustern, die uns an die Grenzen des Fortschritts gebracht haben. Mehr Produktion, mehr Möglichkeiten, mehr von was auch immer – in immer kürzerer Zeit und das bitte gleichzeitig oder besser noch – mittels schlauer Algorythmen – bevor es denn so weit ist, zu handeln. Nur damit das Handeln „zeitnäher“ einsetzen kann, findet unsere enteignete Zukunft einstweilen vorab in der Cloud statt. Die Referenz dieser „Zeitnähe“ ist wohl meistens (und völlig unverändert!) der sogenannte Mehrwert – und meistens, aller meistens, ist es derjenige des Geldes. Angesichts dieser Perspektiven bekommen manche Schnappatmung (auch ein Zeichen von Beschleunigung) – nicht nur, wenn sie sich an die überdimensionierte Hochglanz-Zeitungsbeilage des Autobauers BMW vom November 2018 erinnern. Dort wird der neue 8-er-Sportwagen mit dem Slogan beworben: „Gebaut, um den Atem zu rauben.“ Kurz vor dem Atemstillstand schwant dem Beobachter, dass diese Werbeaussage für den Verlust von klassischen Grenzziehungen in der Postmoderne steht: Ist es Naivität und Unbedachtheit oder ist es ein besonders raffinierter reflexiver Schachzug der Werbestrategen, eine Musterbrechung? Oder beides, oder keines von beidem?

Wenn es nicht gelingt, das Lernen auf ein anderes Niveau zu heben – Lernforscher nennen es Lernen zweiter (oder dritter) Ordnung –, dann wird das nix werden mit der Rettung des Weltklimas. Dann wird die Zeit der Welt um sein, weil keine Zeit fürs Klima war. Gegenstimmen werden spätestens hier lauter – das ist in Diskursen hilfreich. Sie verweisen auf das Erreichte, auf neu gesteckte Klimaziele und all das, was in bester Absicht – jetzt ganz schnell! – getan wird und werden soll. All diesen guten Absichten fehlt die Musterbrechung, der Musterwechsel. Ein solcher würde unter anderem zeitliche Vielfalt statt Fokussierung auf Beschleunigung und Vergleichzeitigung bedeuten. Das scheint bei manchen Individuen schon ganz gut zu klappen – ist aber tatsächlich Teil wirtschaftlicher Geschäftsmodelle und damit in Beschleunigung und Vergleichzeitigungsdynamik integriert: Slow-Food and more stehen dafür.

In einer auf die gesellschaftliche Entwicklung gerichtete Perspektive würde Musterbrechung unter anderem bedeuten, die Zeitlichkeiten wieder den natürlichen Zeitmaßen anzupassen. Das steigert systemisch gesehen übrigens auch die Anpassungsreserven der (personalen, sozialen, aufgabenbezogenen, organisationalen und kulturellen) Systeme an die Zeitlichkeiten der Klimarhythmen. Sprachlich etwas bodenständiger formuliert heißt es: Nur wenn Du wirklich langsamer wirst, kann das Klima sich schneller erholen.

 

Zeiten-Fünfeck mit zeitlichen Perspektiven fürs Klima

Im von mir vorgeschlagenen Modell der Zeitdimensionen[5] ist das gleichseitige Fünfeck mit fünf Zeitdimensionen eingebettet in einen Kreis, der denselben Mittelpunkt hat wie das Pentagramm. Der Kreis steht für die Naturzeiten. In der von mir gewählten Symbolik bedeutet dies, dass die fünf uns zugängliche Zeitdimensionen der Seiten des Pentagramms nur dann stimmig sein können, wenn sie auch stimmig in die Naturzeiten (Kreis) eingebettet sind. Wenn die Naturzeiten keinen guten Rahmen mehr bieten, weil sich z.B. die Zeit der Klimaerwärmung drastisch verkürzt, gerät das gesamte System unserer Zeiten aus der Balance. Wenn die Naturzeiten ihre (natürliche) Mitte verlieren, verliert auch das darin eingebettete Fünfeck mit seinen Zeitdimensionen die Mitte – heißt: die Orientierung – und gerät ins Taumeln, aus der Balance oder ganz aus den Fugen. Alle Zeiten kippen, weil die Naturzeiten widernatürlich umkippen.

Umkippeffekte und Perspektiven

Der Umweltkreis der Naturzeiten und das Fünfeck der Zeitdimensionen haben ein Zentrum. Das sind wir selbst.

Fortsetzung folgt.

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[1] Beck, Ulrich: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988

[2] Thunberg, Greta: Ich will, dass ihr in Panik geratet. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018

[3] Sehens- und bedenkenswert Ausführungen von Harald Lesch dazu: https://www.youtube.com/watch?v=LpnpROgIMOc Mehr auf unserer timesandmore-Seite.

[4] Orthey, Frank Michael. Zeit der Modernisierung. Zugänge einer Modernisierungstheorie beruflicher Bildung. Mit umfangreicher CD-ROM. Hirzel-Verlag, Stuttgart 1999

[5] Orthey, Frank Michael. Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Haufe. Freiburg 2017

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Schauen Sie von Zeit zu Zeit auch mal auf Instagram vorbei? Dann vielleicht auch mal bei der Zeitumstellung.


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