Am Sonntag, den 26.03. ist es mal wieder so weit: die Zeit wird umgestellt. Eigentlich ist es ja die Uhr, die von 02.00 auf 03.00 Uhr vorgestellt wird in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Na ja, wird eben gerne verwechselt, die Zeit und die Uhr. Die Uhr liefert uns ja auch gerne genommene zeitliche Metaphern. Zum Beispiel das Ticken. Was uns zur Frage bringt, ob wir das denn noch tun. Richtig ticken, meine ich.

Wenn Sie zweifeln, ob Sie noch oder nicht mehr richtig ticken, sind sie vermutlich nicht alleine. Viele Zeitgenossen, so ist anzunehmen, fühlen sich heutzutage von der Frage angesprochen. Das macht nicht nur die alltägliche und allgegenwärtige Hetze deutlich, sondern auch der Sprachgebrauch der vielen Rastlosen: „Zeit“ ist ein Wort, das auf der Liste der meist gebrauchten Worte ganz oben steht. Meist verweist der Sprachgebrauch auf einen Mangel an Zeit, auf deren Knappheit oder ihr Fehlen. Da kann frau und man sich schon fragen: Woran liegt das? Und: Ticke ich denn noch richtig? Ja, ich, Gehetzte und ich Getriebener, ich, der nie Zeit hat und immer im Stress ist, ich, die es trotz aller Finessen der Selbstoptimierung nicht hinbekommt, die täglichen ToDo-Listen abzuarbeiten, alle Anforderung des Lebens und Arbeitens unter einen Hut zu bringen, mir meine Zeit zu nehmen und zu geben? Ich, lost in time?

Stunde am Sonntag hin oder her.

Der Frage nach dem eigenen Ticken vorangestellt ist die Frage: Wozu braucht der Mensch die Zeit?

„Probieren Sie es doch mal ohne“ – wäre eine etwas provokante Antwort. Sie zeigt, wo es endet wird: in der Zeit. Denn in der Aufforderung „Probieren Sie es doch mal …“ steckt ja schon eine Zukunftsvorstellung. Und damit ein Unterschied: heute mit Zeit, morgen probieren wir es mal ohne. Das ist ein Unterschied: der von heute und morgen, oder von jetzt und gleich. Würden wir keine Unterschiede machen, dann könnten wir die Welt nicht erkennen und erklären. Dann wäre „nichts“ mehr – und selbst das ist ohne einen Unterschied zum „nicht nichts“ nicht zu erklären. Wir brauchen also Unterschiede, um uns eine Vorstellung von uns in Raum und eben auch in der Zeit zu machen. Ohne Zeit gibt es keine Vorstellungen von der Welt. Jedenfalls keine alltagstaugliche. Die Theorie der Quantengravitation lässt in ihren Gleichungen Zeit (t) weg und behauptet, dass die Welt auf einer fundamentalen Ebene zeitlos sei. Alltagstauglich ist das nicht gerade.

Ob es Zeit gibt oder nicht, sei dahingestellt. Klar scheint aber, dass wir etwas als Vorstellung brauchen, das wir „Zeit“ nennen, um uns die Welt und uns in dieser Welt vorstellen, „konstruieren“ zu können. Insofern ist Zeit, wie auch immer sie konstruiert wird, etwas, das wir brauchen, um aus dieser Welt etwas für uns Brauchbares zu machen. Wir nennen das „Sinn“. Zeit ist insofern ein „Sinnhorizont“, sagt der Soziologe Luhmann. Wir brauchen ihn, um die Welt in eine für uns sinnvolle Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bringen. Und nennen das „Geschichte“. Und insofern kann die Antwort auf die Frage auch lauten: Wir brauchen die Zeit, um uns unsere Geschichten zu erzählen – von uns selbst, von den anderen, von der Welt. Und weil das etwas ganz Subjektives ist, gibt es die Zeiten, die wir brauchen, nur im Plural. Jeder und jede hat ganz unterschiedliche Zeiten und zeitliche Bedürfnisse. Und tickt damit auch ganz unterschiedlich. Was für den einen Zumutung und purer Stress, ist für den anderen anregend und aktivierend.

Diese unsere Zeiten sind heute vielfältige Zeiten. Sie werden differenziert, vervielfältigt, fragmentiert und vergleichzeitigt. Arbeitszeiten, Beziehungszeiten, Familienzeiten, Erziehungszeiten, Konsumzeiten, virtuelle Zeiten und Zeiten unterwegs in der ganzen Welt. Mit allerlei Zeitverschiebungen (interessantes Wort!). Hinterlegt durch die allgegenwärtigen Zeiten im Netz. Die sind immer und überall, quasi als mitlaufende zusätzliche immerwährende Zeitqualität.

Je schneller ich das hinkriege mit der Anreicherung meines Erlebens durch alle möglichen Erfahrungen, umso mehr Leben kann ich in dem einen, das ich habe, zusätzlich noch mit unterbringen. Und wenn mal gerade nix ist mit Erleben, dann wische ich mal schnell über mein Display und siehe da, eine neue Möglichkeit tut sich auf. Mir gefällt das (nicht mehr)! Das sind die verlockenden Aussichten, die nach den Begrenzungen weiterer Beschleunigung nun im Konzept der Vergleichzeitigung aufgehoben werden. Ihre Musterschüler sind die Multitasking-Master of Desaster, die immer und überall alles gleichzeitig können, tun und wollen. Respekt! Und gleichzeitig: Zweifel.

Dabei scheint alles kürzer, kurzfristiger und schneller zu werden. Gegenwarten scheinen sich zu verdichten in flüchtige, kaum mehr fassbare Momente. Die erlebte Dauer schrumpft. Und wir sind mittendrin. Können alles immerzu – und doch nichts. Frei und abhängig. Zeitlich autonom und gleichzeitig unter Zeitdruck wie nie zuvor.

Eine Stunde hin oder her ändert daran erst mal nichts. Außer, dass dies ein Anlass sein kann, sich mit dem Thema und mit sich selbst in der Zeit zu beschäftigen. Soviel Zeit muss sein bei den ganzen Zeitumstellungen, mit denen wir es ja eigentlich ständig zu tun haben.

Fragen zur Zeit (-umstellung)

  • Von welchen Zeiten träume ich?
  • Nach welchen Zeiten habe ich Sehnsüchte?
  • Welche Zeiten stoßen mich ab?
  • Welche Zeiten mag ich am liebsten? Welche machen mir zu schaffen?
  • Welche Zeit-Gefühle habe ich? Wann habe ich sie?
  • Was unterscheidet meine Zeit-Gefühle?
  • Welche meiner Zeitgefühle verursachen welche gefühlsmäßigen Unterschiede?
  • Wann fühle ich mich „zeitlos“? Was brauche ich, um mich „zeitlos“ zu fühlen?
  • Wann fühle ich mich in meiner Zeitlichkeit im Einklang mit den Rhythmen der Natur? Was brauche ich, um mich im Einklang mit den Rhythmen der Natur zu fühlen?
  • Wann fühle ich mich zeitlich gut strukturiert wohl? Was brauche ich, um mich zeitlich gut strukturiert und wohl geordnet zu fühlen?
  • Wann fühle ich mich zeitlich autonom, meine Zeitqualitäten zu wählen? Was brauche ich, um mich zeitlich autonom zu fühlen?
  • Welche dieser Zeit-Gefühle passen für mich zu welcher Situation?

Formulieren Sie ein kleines Vorhaben für eine persönliche Zeitumstellung für die kommende Woche. Für mehr persönliche zeitliche Stimmigkeit.

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Mehr zur Zeit und Ansätze für einen guten Umgang mit ihr gibt es in der „Zeitumstellung“, die im Juni im Haufe-Verlag erscheint.

Link zu mehr Zeitumstellungen (denn die gibt’s ja – noch –zweimal im Jahr)

Kategorien: Zeitforschung

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