Manch eine/r würde wohl gerne auf die verkitschten Beigaben von Weihnachten verzichten. Andere auf die vor der Tür stehenden familiären Rituale und Katastrophen des Festes der Ankunft (des Herrn). Dafür – für Ankunft – steht der Advent, der christlich-kirchlich ursprünglich eine „geschlossene Zeit“ war, in der es darum gehen sollte, sich innerlich vorzubereiten auf die anstehende Ankunft. Ohne Saus und Braus. Es herrschte Feier- und Tanzverbot. Verzicht war Teil der Vorbereitung. Das war ehedem genauso klar, wie es heute klar ist, dass der Advent nurmehr ein weiteres Event im Jahresverlauf ist. Versehen mit eher wenig Verzicht. Wobei nicht wenige gerne auf die Dauerberieselung mit allzu früher und allzu immergleicher Weihnachtsromantik verzichten würden. Verzichten könnten die ein oder der andere auch auf Glühweinschwaden und den danach nicht ganz unwahrscheinlichen körperlichen – und geistigen – Glühkopfschaden. Natürlich wäre Verzicht auf den ganzen Weihnachstress auch mal lässig. Besonders der allerorten handelsübliche Konsumterror befeuert die Sehnsüchte nach Verzicht. Ganz zu schweigen von dem, was mit Blick aufs Smartphone gerade so geboten wird. Da wäre Verzicht auch mal ganz entlastend.

Ist aber nicht. Kein Verzicht. Nur mehr und immer mehr von alledem, was gut und gerne verzichtet werden könnte.

Aber wer kann das schon? Wer kann und will sich entziehen? Verzicht könnte ja anstrengend werden. Dann doch lieber angestrengt weitertaumeln. Über Weihnachtsmärkte und durch Chats, Nachrichten, durch obligatorische Weihnachtsfeiern mit den üblichen Peinlichkeiten, Rausch- und Stresszustände angesichts dessen, was alles noch „vorher“ ansteht und erledigt oder abgearbeitet werden muss, durch verbesserte Selbstoptimierungsanstrengungen, damit das – klar – dann auch ein schönes Fest und „eine gute Zeit“ werden kann. Verzicht ist dann später – vielleicht in der „staden Zeit“ „zwischen den Jahren“. Nicht wenige klammern sich an solche Illusionen. Die werden zwar jahrein jahraus neu enttäuscht, aber egal. Es könnte ja auch anders werden diesmal. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn sie dann aber doch mal wieder den letzten Weg gegangen ist, bleibt – wieder mal – Enttäuschung. Bis es dann wieder weitergeht in dem Trott, dem sie oder er doch so gerne entkommen wäre. Das Naheliegende wird nicht gewählt. Stattdessen wird ein weiterer Anlauf genommen für das ratgeberverdächtige „Genießen ohne Verzicht“! Das ist zwar immer nur noch mehr Hamsterrad – aber Verzicht könnte schlimmer werden. Das muss wohl die implizite Annahme und Haltung sein. Oder/und es ist die Angst, etwas zu verpassen – in gewöhnlich besser informierten Kreisen genannt FOMO („Fear of missing out“). Diese Angst ist begründet im immer mitlaufenden Vergleich: mit anderen möglichen Möglichkeiten, die ich noch nicht (im wahrsten Sinne des Wortes) auf dem Schirm hatte, die aber womöglich doch noch neue attraktive Optionen bieten könnten. Der Verzicht wäre das Wagnis des Gegenteils. Risiko: Möglichkeiten verpassen. Chance: Freiheit und Autonomie wiederentdecken – oder: wiedererobern. Sich befreien von den großen Zwängen der möglichen und verlockenden kleinen Freiheiten, um dann im wiedererstarkten Augenblick Verlorenes, Vergessenes wiederzuentdecken. Das dann und dort Gefundene hat meist was mit dem eigenen Selbst zu tun. Das macht günstigstenfalls Freude – und die bereits zitierte üblicherweise einschlägig besser informierte Szene hat bereits in einem kreativen Wortfindungsanfall dafür das JOMO („Joy of missing out”) erfunden. Soll Freude machen das Weglassen!

Damit ist das Weglassen – und darauf läuft Verzicht ja irgendwie doch hinaus – bereits zur Strategie geworden. Die mündet häufig in Vorsätzen, die letztlich Pläne sind. Die – ja Sie ahnen es – dann auch wieder Stress machen. Oft sind das Pläne, die beispielsweise die Aufenthaltsdauer auf Social-Media-Kanäle limitieren sollen, die gezielt und nachhaltig – klar! – auf Geschenke verzichten undsoweiter. Pläne eben wieder. Immerhin einerseits – und für (hoffentlich erfolgreiche) Versuche mit dem Verzicht geeignet. Schade andererseits, denn die Natürlichkeit des Weglassens fehlt. Die wäre dann gegeben, wenn Verzicht ein personal, sozial und kulturell verankertes Muster wäre, das gar keiner Planung mehr bedürfte. Advent könnte – wieder – Verzicht bedeuten. Das wäre doch mal was. Nix neues. Aber doch etwas sehr Reizvolles. Eine „geschlossene Zeit“ des Verzichts, wo sich die Frage nach neuen Möglichkeiten gar nicht stellt, weil sie im fixen Ritual auf Dauer gestellt abgeschaltet sind. Kein Saus und Braus und ständiger Rausch, kein Verdaddeln, kein Stress im Möglichkeitsüberschuss. Weil das alles gar nicht vorgesehen ist. Sondern Verzicht. Das wäre doch mal ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Und der viel Neues eröffnen könnte. Darunter sind auch wiederentdeckbare Eigenzeiten. So viel Freiheit kann auch mal sein. Dem Verzicht sei Dank.

Gute Zeiten!

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Kategorien: Zeitforschung

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