Jetzt in der Sommerzeit haben sie Konjunktur: die automatischen Antworten. OoO. Out of Office. Die Erledigung der letzten, der gelegentlich angestauten, manchmal unangenehmen Dinge kurz vor dem eigenen Urlaub wird nicht selten durch eine automatische Antwort quittiert, die ambivalente Wirkungen hervorruft. Einerseits stellt sich da so was wie Neid ein, dass die- oder derjenige hinter der automatic-reply-Reaktion schon den sommerlichen Urlaubszustand erreicht hat, andererseits keimt ein müder Ärger über sich selbst auf, denn das hätte ja offenbar auch bis nach dem Urlaub Zeit gehabt. Aber womöglich liest sie oder er ja im Urlaub trotz der Notiz die Mails. 9 von 10 Menschen tun das nach einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 19. Juli. Von wegen „Ich bin dann mal weg“ (so der Titel des Beitrags). Das ist eher wohl ein „So-tun-als-ob-ich-weg-wäre“ für das, was der Abwesenheitsassistent suggeriert (nämlich dass abwesenheitsbedingt eben nichts getan wird). Richtig gute Abwesenheitsassistenten würden dafür Sorge tragen, dass die betreffende Mails den Adressaten gar nicht erreichen. Diese Radikallösung gibt es in manchen Organisationen. Sie setzen damit nur um, was da geschrieben steht: „Der Adressat ist abwesend, die Mail wird nicht gelesen und nicht beantwortet. In Notfällen bitte an XY wenden.“ Fertig.

Kontroll- und nähebedürftige Menschen schauen trotzdem gerne „mal kurz“ rein (vorausgesetzt sie sind nicht Teil einer der seltenen Radikallösungen). „Nur mal kurz“ und nur ganz unverbindlich, versteht sich und wirklich nur zur Sicherheit, wenn entgegen aller Erwartungen doch die Hütte brennen sollte. Das allenthalben präsente dichte interaktive Geschehen auf Mail- und Social-Media-Kanälen steht auch für ein zutiefst menschliches Bedürfnis nach sozialem Kontakt, nach Nähe und Bestätigung. Der Abwesenheitsassistent beruhigt viele in ihren Verlustängsten, denn es ist ja nur ein vorübergehender Zustand. Einerseits. Andererseits schneidet der Abwesenheitsassistent von gewohnten kommunikativen Verbundenheiten ab. Wenn – vorläufig – alle Landschafts- und Essensfotos gepostet sind aus dem Urlaub, schaue ich halt mal kurz rein in die Mails (was ich natürlich empört – und alleine wegen des geäußerten Verdachts leicht gekränkt – leugne). Auch wenn das Bedürfnis menschlich ist, spricht aus Zeitforschungsperspektive viel dafür, den (eigenen!) Abwesenheitsassistenten ernst zu nehmen – und wie angekündigt abwesend zu sein. Und abwesend zu bleiben. Früher, also zu den Zeiten, als Post noch ausschließlich analog gedacht und gemacht wurde, rannten, flogen, fuhren die Urlauber:innen ja auch nicht einfach mal zwischendrin nach Hause, um zu checken, was im Briefkasten so alles reingekommen ist. Wobei: Manchmal übernahmen Verwandte oder Freunde das Leeren der Briefkästen – und ja, es gab auch damals gelegentliche Telefonate, was denn so drinnen war in der Post. Eine unmittelbare persönliche Kontrolle des eigenen Briefkastens gab es allerdings tatsächlich nicht. Jede/r der einmal die Woche nach Hause gefahren wäre, um den Postkasten zu checken, wäre berechtigterweise in den Verdacht geraten, nicht mehr alle Tassen im Schrank oder sich einen Sonnenstich gefangen zu haben. Oder der Zufuhr bewusstseinserweiternder Substanzen im Urlaubsgedönse nicht gewachsen zu sein. Was im analogen Zeitalter schwachsinnig erschien, ist im digitalen Zeitalter Standard. Allerorten zu allen Zeiten anwesend.

Abwesenheits- (Notiz-) bedingt dümpelte dieser Text seit Wochen in Stadium eines unvollendeten Manuskriptes so vor sich hin. Und wurde seither öfters von seinem Thema eingeholt. Nicht nur die ungezählten Abwesenheitsnotizen, die eingehen – besonders diejenige, die entstehen, wenn Abwesenheitsassistenten sich Abwesenheitsnotizen zuschicken. Nein, auch medial machte das Thema von sich reden. Zum Beispiel im Streiflicht der Süddeutschen Zeitung vom 02. August: „Abwesenheitsnotizen sind die Geiseln des Sommers!“

Aber. Ein „aber“ lässt nichts Gutes vermuten. Der Abwesenheitsassistent, der gerne auch mehrsprachig formuliert allen Empfängern globale Bedeutsamkeit vermittelt (auch schön!), hat seine beste Zeit hinter sich, weil man sich ja ohnehin nicht auf ihn verlassen kann, weil sehr viele Menschen ihn nutzen, um heimlich – und manchmal unheimlich viel – trotzdem oder wegen der entstandenen Druck- und Störungslosigkeit zu arbeiten. Er beruht auf einer Unterscheidung, die so ja schon lange kaum noch tauglich ist. Es ist die Unterscheidung von Arbeit und Freizeit. Und im Gefolge derer vom „Office“ und … ja, was eigentlich. Beides ist ja größtenteils ohnehin längts verschmolzen zum home Office. Und der Arbeitsplatz ist längst überall. Immer. Orts- und zeitlos. Wozu also der Abwesenheitsassistent?

Es muss sich um ein Relikt aus heutzutage bereits tief verstaubten Zeiten handeln. OoO! Er assistiert bei der Abwesenheit. Damit das wirklich klappt, bräuchte es einerseits nicht unterlaufbare Radikallösungen, wie oben angedeutet, also dergestalt, dass die Mails tatsächlich und ganz sicher den Empfänger bzw. die Empfängerin nicht erreichen. In Zeiten, wo alle (oft wenig intelligenzverdächtig) von KI parlieren, wäre es auch schick, wenn die Abwesenheitsassistenten, die sich gegenseitig beschicken, aufgrund der kommunikativen und medialen Geschichten ihrer Sender und Empfänger unterschiedliche Antworten generieren und versenden würden. Von: „Ihre Mail ist berechtigterweise in den SPAM-Filter geraten. Versuchen Sie es nochmal, wenn dieser Verdacht sich künftig als unbegründet erweisen soll.“ Über: „Wenn Sie wirklich eine Lösung wollen, dann schlagen Sie bitte in der nächsten Variante, um die ich Sie bitte, eine ebensolche vor – statt den Problemstrudel zu beschleunigen.“ Oder: „Ihr Anliegen rührt mich zutiefst. Aber es erreicht mich nicht. Nicht weil ich nicht da bin, sondern weil es auch in der Ferne von mit abperlt. Und in den heißen Sand tropft. Wenn Sie sich und Ihren Anliegen künftig dieses Schicksal ersparen wollen, stecken Sie lieber die Füße (und wahlweise: den Kopf) in den Sand.“ Oder: „Ja, im Grunde genommen könnte es wohl sein, dass ich Sie auch liebhabe. Könnte, wohlgemerkt. Etwas weniger Konjunktiv könnte entstehen, wenn Sie bitte künftig a) vor dem Verfassen nochmal überprüfen, ob diese Mail wirklich eine Existenzberechtigung hat und b) sich in Stil und Form an die digitale Netiquette zu halten, von der Sie offenbar noch nichts gehört haben.“

Stellen Sie sich vor, was das für ein Fest werden könnte, wenn der jeweils andere Abwesenheitsassistent – sofern er denn tatsächlich (künstlich) intelligent sein sollte – sich zu solchen Nachrichten eine schlaue Replik hätte einfallen lassen, die den Gegenüber wieder bewogen hätte, noch was Originelleres zu schreiben. Ein Fest beim routinemäßigen Durchackern der zighundert Mails nach Rückkehr, meine ich. Gelächter statt Frust, Frohsinn statt Depression, Jubelschreie statt Gewaltphantasien – angesichts der Dialoge der intelligenten Abwesenheitsassistenten, die sich sicher auch auf eine geschlechtersensible Sprachform verständigt hätten, es sie also nach Ihrer Rückkehr auch m/w/d geben würde. Ein Fest der Arbeit! Dank kluger Abwesenheitsassisten:innen. Wäre doch gelacht – und würde es viel.

So weit wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit so bald nicht kommen. Denn Arbeit, bei der gelacht wird, ist vielen Unternehmen und Organisationen nicht zum Lachen. Also bleiben auch deren Abwesenheitsassistenten belanglos und langweilig. Das ist blöd. Nur noch getoppt von der Blödheit, die dahintersteckt, wenn der Abwesenheitsassistent seine Arbeit nicht erledigt, sondern der Weg frei bleibt, um eben mal reinzuschauen in die Mailfluten. Kluge oder gar „lernende“ Organisationen, von denen Berater:innen ja seit Generationen feuchte Träume haben, hätten zumindest organisational so weit vorgesorgt, dass der Abwesenheitsassistent (m) dafür sorgt, dass der Adressat oder die Adressatin, der oder die ihn nicht ernst nimmt, bei der Team-, Abteilungs- oder Geschäftsleitung verpfiffen würde. Das könnte niederschwellig beginnen: „Diesmal drücke ich noch mal ein Auge zu, Sie Schelm ;-)“ Es könnte sich dann langsam in den moralischen und faktischen Druck steigern: „Wollen Sie sich wirklich diesen Urlaubstag ruinieren? Welchen Nutzen haben Sie denn davon, dass Sie sich das antun? Kleiner Sadist … Ich formuliere mal eine vorläufige Notiz und protokolliere ab sofort Ihr mediales Urlaubsverhalten.“ Und es könnte nach weiteren subtilen Eskalationsstufen böse enden: „Jetzt ist aber genug. Ich dreh Ihnen jetzt den Saft ab. Außerdem verfällt Ihnen dieser und ein weiterer Urlaubstag Ihrer Wahl. Müssen Sie dann nacharbeiten. Ich werde mich zudem so einstellen, dass Sie nach Ihrem Urlaub Ihre wahre Freude haben werden! War es das wirklich wert? Gute Erholung!“ Oder so ähnlich. Sommerzeiten eignen sich zum Geschichten-Erfinden. Finde ich jedenfalls.

Sie können ja mal weiterspinnen. Sie sind ja immer noch OoO! Im Urlaub.

Gute Erfahrungen, und schöne Geschichten mit und ohne (intelligente) Abwesenheitsassistenten (m/w/d).

Und: Gute Zeiten!

OoO!

***

Im Sommer kann die „Zeit zum Umklappen“ nützlich sein. Im ORTHEYs-Zeit-Satz-Variator gibt es unzählige Sätzen für gute Zeiten hier in unserem Shop.

Das Buch zum Thema heißt und ermöglicht eine Zeitumstellung 😉

Mehr zur Zeit finden Sie auch im ORTHEYs-Zeitzeichen Podcast:

Und in den …

ZEITZEICHEN

Ein ABC unserer Zeit.

ISBN 978-3-7504-3216-1

€ 19,99 [D] incl. MwSt.

Erhältlich bei BoD: https://www.bod.de/buchshop/zeitzeichen-frank-michael-orthey-9783750432161

 

Kategorien: Zeitforschung

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.