Seit den 1970-er Jahren kursiert die „quality time“ in Abgrenzung zur „quantity time“. Letzteres bezeichnet diejenigen Zeiten, die lange, aber ohne besondere Ansprüche sind. Quality times sollen hingegen Zeiten sein, die – unabhängig von der Länge – besonders gehalt- oder wertvoll sind. Klassischerweise ist quality time menschlichen Beziehungen und Aktivitäten im sozialen Kontakt und in der Begegnung gewidmet. Im Vergleich zum inhalts- und oft auch sinnfreien Rest, der allerdings in beträchtlichem Umfang daherkommt. Das ist natürlich eine für viele verlockende und griffige Unterscheidung, weil es wohl eine Sehnsucht bedient angesichts der fragmentierten zeitlichen Eintönigkeiten, die vielen heutzutage Stress machen. Das fand 2009 auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – und verfasste ein Memorandum für eine familienbewusste Zeitpolitik. Kernpunkt: „Qualitätszeit“. Das ist der Schlüssel zum „Zeitwohlstand“. Gemeint sind „verlässliche und selbstbestimmte Zeitoptionen, die Familien für gemeinsame Aktivitäten nutzen“ – und zwar „in bewusster Interaktion, Fürsorge und Zuwendung mit dem Ergebnis von Wohlbefinden“.[1] Dazu zählt allerdings nicht Spielen von Kindern unter Aufsicht der Eltern und auch nicht ein gemeinsames Mittagessen oder Haushaltstätigkeiten. Nein, das ist keine – oder die falsche – Qualität. Soviel Genauigkeit muss schon sein. Schließlich geht es ja um Qualität. Und die findet vorzugsweise am Wochenende in bewusst gestalteten Zeiten in Beziehung – dann übrigens auch beim gemeinsamen Kochen und Essen – statt.

1994 habe ich das Standardwerk zum Thema Qualität von Astrid (Orthey, die damals noch Dietrich hieß 😉 geschenkt bekommen – da war es bereits 20 Jahre auf dem Markt: „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten.“ Von Robert M. Pirsig, der im April 2017 verstorben ist. Ich hatte mich damals mit den Qualitätssicherungseuphorien beschäftigt und fand in Pirsigs Bestseller einen großen Fundus – auch für mehrere Glossen zum Thema. Die fielen mir jetzt wieder ein, als ich irgendwo über die quality time oder die Qualitätszeit stolperte. „Qualität …, man weiß, was es ist, und weiß es doch nicht.“[2] Ja, genau! Denn: „Qualität ist keine Substanz. Und auch keine Methode.“ „Wenn nämlich Qualität im Objekt vorhanden ist“ – so der Qualitätsexperte Pirsig weiter – „muss man begründen, wieso sie nicht mit wissenschaftlichen Instrumenten nachweisbar ist. Man muss entweder behaupten, sie sei doch mit wissenschaftlichen Instrumenten nachweisbar, oder sich an den Gedanken gewöhnen, dass sie deshalb nicht mit wissenschaftlichen Instrumenten nachzuweisen ist, weil der ganze Qualitätsbegriff, den man sich zurechtgebastelt hat, gelinde gesagt ein Haufen Unsinn ist.“

In diesem Sinne argumentierte ich damals, es handele sich bei den Qualitätseinredungen um ein „funktionales Indiz der Ästhetisierung unserer Gesellschaft und ihrer Systeme“. Junge, Junge. Harter Tobak. So war ich damals. Und hinreichend unverständlich. Aber ich wurde deutlicher, bezeichnete die Qualitätsdudelei als „neues Kitsch-Produkt, als platte Illusion und spannungsloses Vorgaukeln einer heilen Welt“. Die Qualitätsmetapher sei eine „ästhetisierende Kategorie“, habe „Legitimationscharakter, der auf Zukünftiges gerichtet ist“ und das sei „hochattraktiv in einer beschleunigungsaktiven Zeit der Gegenwartsschrumpfung auf halbstündige Terminkalendereinträge. Zukünftig ist alles so, wie es kommt, „qualitätsvoll““. Der Qualitätsbegriff suggeriere „semantisch die Absicherung der Fähigkeit beständiger Wiederselbstaufbaupotenziale: es kann nichts mehr schief gehen, was immer auch schief geht – die Qualität ist gesichert!“ Ich meinte damit einen Mythos entlarvt zu haben – und fand mich von Pirsig inspiriert und bestätigt. „Man weiß etwas, und dann beginnt der Qualitätsreiz zu wirken und man versucht, den Qualitätsreiz zu definieren, aber um ihn zu definieren, kann man nur mit dem arbeiten, was man schon weiß. Die Definition besteht deshalb aus dem, was man schon weiß. Sie ist eine Analogie zu dem, was man schon weiß. Zwangsläufig. Sie kann nichts anderes sein. Und auf diese Weise wächst der Mythos. Durch Analogien zu bereits Gewusstem. Der Mythos besteht aus Analogien, die auf Analogien aufbauen.“ (Pirsig 1993, S. 372) Will wohl sagen, dass der Mythos deshalb entsteht, weil man nichts Genaues weiß, es aber glauben will und es deshalb wissen muss – oder so was ähnliches. Jedenfalls bleibt unklar, was Qualität ist – klar bleibt, dass sie massiv gesichert, gefordert und propagiert wird.

Wie bei der Qualitätszeit. Hört sich ja auch fein an. So im Vorbeigehen gehört und gesagt. Das hat schon was mit der Beimischung des Qualitätsmythos. Kann ja letztlich jede/r entscheiden, was das denn ist (sofern sie und er nicht dem Familienministerium folgt). Nachgefragt, was das denn sei, eine qualitätsvolle Zeit, ist gerne genommen „bereichernd“, „erfüllt“, „erfüllend“, „gehaltvoll“ oder „bewusst“ – oder in die Richtung … Andererseits ist es für viele auch eine Qualität, einfach nur so rumzuhängen, zu chillen, sagen die Kids – früher hieß das Müßiggang. Kann ja auch eine Qualität sein – für den- oder diejenige, die sowas mögen. Qualität ist Konstruktion. Darauf läuft es hinaus. Und bei Konstruktionen ist immer die Frage, mit welcher Referenz, mit welchem Bezug ich konstruiere. Das zu klären, könnte weiterhelfen in der Beantwortung der Frage, welche Zeiten für mich wichtig, qualitätsvoll sind. Es hat sich bewährt, diesen Bezug aus emotionaler Sicht zu klären. Denn das ist die entscheidende Qualität – die Hirnforscher werden nicht müde uns das als einige der wenigen wirklich gesicherten Erkenntnisse aus dem Hirn zu versichern. Wir sind emotionsgesteuert. Und was uns Lust und Freude macht, das ist für uns stimmig und brauchbar. Und ja, das können wir dann „Qualität“ nennen. Oder quality time. Wenn’s denn hilft, dann hilft’s. Wer es braucht, der soll es so nennen. Alle anderen sollen machen, was sie wollen. Das wär doch auch schon mal so’ne Art Zeitwohlstand. Vermutlich. Oder ein persönlicher Mythos?

„Er wusste, wenn er Qualität begreifen wollte, musste er den Mythos verlassen.“ (Pirsig 1993, S. 372/373)

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Frank Michael Orthey: Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Haufe-Lexware.

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[1] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Memorandum Familie leben. Impulse für eine familienbewusste Zeitpolitik, Berlin 2009

[2] Pirsig, Robert M.: Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1993

Kategorien: Zeitforschung

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