Die „Zeitumstellung“ feiert heute ersten Geburtstag. Am 23.06.2017 erschien sie bei Haufe. Seither ist einige Zeit ins Land gegangen. Zudem haben sich für manch eine/n die Zeiten verändert. Wie es so geht mit der Zeit. Und ja, wir haben jetzt Strafzölle, nach 100 Tagen wohl eine Krise der großen Koalition und Melania Trump kommentiert – ja was eigentlich? – auf ihrer Jacke: „Es ist mir egal. Euch auch?“ Tja, so ändern sie sich, die Zeiten.

Wie auch immer: Sie, die Zeit, ist uns seit dem 23.06.2017 wieder mal lange geworden, sie hat sich gezogen, dahingeschleppt, für manche/n andere/n hat sie oftmals nicht gereicht, ist verronnen, knapp geworden, ausgegangen, hat sich gelohnt, war sinnvoll investiert – oder sie war verplempert, verschwendet. Manchmal war sie erfüllt oder erfüllend, bereichernd, so wie wir sie uns wünschen. Manchmal sind wir gar nicht mitgekommen, sind ihr hinterhergehechelt, haben uns mehr davon gewünscht oder oft auch, dass sie doch stehen bleiben möge. Dass das aber ausgerechnet am Montagvormittag im Büro passieren würde, wäre auch nicht nötig gewesen. Na ja, kleiner Scherz um die Zeit. Um die Zeit als Begriff, wie wir ihn verwenden.

An der Vielfalt der Begriffsverwendung lässt sich anschließend, dass es „die Zeit“ nicht gibt, sondern nur bestimmte Zeiten, die wir in einer bestimmen Art und Weise, in einer bestimmten Qualität erleben, wahrnehmen und auf uns wirken lassen. Und die wir mit Sprache so bezeichnen als wäre das alles „die Zeit“. Und das mehrfach täglich in unterschiedlichen Bedeutungen. Da kommt man und frau von Zeit zu Zeit ganz durcheinander angesichts dessen, wie Zeit zur Sprache gebracht wird.

Zeit und Sprache, das ist ein spannendes Verhältnis. Das eine gibt’s nicht ohne das andere. „Die Zeit ist kein Zeitraum, sondern eine Ordnung.“ Teilt uns der österreichisch-englische Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) mit. „Zeit“ ist – neben naturwissenschaftlichen Zugängen, die Wittgenstein unterscheidet – zunächst ein sprachliches Ordnungsangebot. Das nutzen wir um Komplexität für uns zu reduzieren. Das war und ist nützlich. Damit nicht alles gleichzeitig passiert und verarbeitet werden muss. Sprache kann nur nacheinander verwendet werden. Insofern uns auch manche Undifferenziertheiten in der Sprache zur Zeit verziehen werden mögen. Die Zeit lässt es halt nicht immer zu, sie genau so zu bezeichnen, wie wir sie erleben. Dann bräuchten wir sie auch genaugenommen gar nicht, denn dann würden wir ja die Qualität von Vorgängen beschreiben und miteinander vergleichen. Dazu wieder Ludwig Wittgenstein: „Wir können keinen Vorgang mit dem „Ablauf der Zeit“ vergleichen – diesen gibt es nicht – sondern nur mit einem anderen Vorgang (etwa mit dem Gang des Chronometers).“ (Tractatus, 6.36II)[1] Und selbst auf den Vorgängen der Uhr scheint sie uns manchmal davonzueilen, wenn wir andere Vorgänge damit vergleichen – so wie gerade jetzt, wo ich mich hier verlustiere und mit Blick auf die Uhr merke, dass ich eigentlich jetzt was anderes vorhatte. Zeit wär’s jetzt laut Uhranzeige um zum samstäglichen Entsorgen zu fahren. Ist es wirklich schon so spät? Die Zeit, die scheint heute wieder zu verfliegen …

Und so machen wir uns unsere „Sprachspiele“ zur Zeit – so hätte Wittgenstein das genannt. Da solche „Sprachspiele“ auch ein soziales Band darstellen, sind diejenigen Sprachspiele, die sich um den Begriff der Zeit herum entwickeln, besonders attraktiv, weisen viele „Familienähnlichkeiten“ (Wittgenstein) auf. Das verbindet und gibt etwas Halt. Und es muss reichen. Denn es gibt heutzutage keine „großen Erzählungen“ mehr, auf die wir uns berufen können. Die Zeiten sind nicht mehr von natürlichen Zeitordnungen und Rhythmen reguliert wie in Urzeiten oder der Vormoderne, nicht mehr organisational strukturiert wie in den Industriemodernen, sondern sie sind vor allem individualisiert geordnet – und das heißt häufig fragmentiert und vergleichzeitigt. Jede/r ist seiner eigenen Zeiten Schmied. Und der Sprache, die dafür gefunden wird. Die Postmoderne komme als loses Geflecht unterschiedlicher Sprachspiele daher. Auch bezüglich der Zeit. Und so erzählen sich Menschen heute ihre unterschiedlichen Zeit-Geschichten (sie handeln oft von Hetze und anderen Zeitnotständen). Manchen reicht das schon, beispielsweise um sich in den eigenen Zeitnöten nicht ganz so alleine zu fühlen. Andere, die den Austausch ihrer Sprachspiele zum Thema Zeit vertiefen, kommen zu anderen An- und manchmal auch Einsichten. Unsere Zeiten sind so vielfältig wie es unsere Sprache darüber ist. Oder eben so einfältig. Bei der Sprache fängt es an. Und hört es auf. Über Zeit und das eigene Zeiterleben miteinander sprechen, das ist ein ganz praktischer Hinweis, dessen Umsetzung vielen Zeitgeplagten in Zeitseminaren oder in der Zeitberatung hilfreich ist. Wenn die eigenen Sorgen und (Zeit-) Nöte geteilt werden, dann erscheinen sie oft in einem anderen Licht – und andere Perspektiven kennenzulernen, erweitert den eigenen Horizont. Und dann wird anders über Zeit gesprochen. Wenn eine andere Sprache zur Zeit gefunden ist, dann kann Zeit auch anders erlebt und erfahren werden.

Für diejenigen, denen (jetzt?) die Sprache wegbleibt, hat Ludwig Wittgenstein den letzten Satz (7) im tractatus logico philosphicus hinterlassen: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Was dann bliebt, wenn wir (auch innerlich) mal die Klappe halten, das ist das, was wir spüren. Es sind Gefühle und Emotionen, die uns berühren und bewegen. Und das ist ein anderer Zugang zur Zeit als der rationale sprachliche. Manchmal findet er an Geburtstagen statt (insbesondere scheint mir an denjenigen des fortgeschritteneren Alters).

Heute – am ersten Geburtstag der „Zeitumstellung“ – wird jedenfalls gefeiert. Soviel Zeit muss sein. Mit oder – für eine echte „Zeitumstellung“ vermutlich besser – ohne Sprache. Rein gefühlsmäßig unterwegs in der Ordnung, die wir Zeit nennen.

Anregungen für die Umstellung Ihrer persönlichen zeitlichen Ordnung finden Sie in der „Zeitumstellung“ – also in dem Buch, das so genannt wurde und in den Sprachspielen, die es anbietet. Sie sind auch am ersten Geburtstag noch gültig.

Gute Zeiten.

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Aktuelle Veröffentlichung zum Thema: Frank Michael Orthey: Im Konflikt der Zeiten. In: Die Mediation. Fachmagazin für Wirtschaft, Kultur und Verwaltung. Ausgabe III/2018, Steinbeis Stiftung, Stuttgart, S. 17 – 21

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Frank Michael Orthey: Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Haufe-Lexware.

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[1] Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Lizenzausgabe, Bertelsmann, Gütersloh 1988, S. 120

Kategorien: Zeitforschung

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