Die Wiederholung hat in unseren heutigen Zeiten einen etwas zweifelhaften und fragwürdigen Ruf. Wer sich ständig wiederholt, der braucht Zeit – und die ist rar, so scheint es jedenfalls vielen ZeitgenossInnen. Menschen, die sich wiederholen, geraten schnell in den Verdacht, dass sie ein Problem mit dem Vergessen haben. Günstigstenfalls lösen sie Langeweile aus, meist eher Genervtheit. Auch die Wiederholung von Handlungen und Tätigkeiten wird oft als wenig erfüllend, eher als eintönig oder überflüssig empfunden. Derlei Abwertungen sind wohl auch Teil einer erlebten Zeitkultur, in der das immer Neue attraktiv ist und in der Wiederholungen als etwas Lästiges oder gar als Makel erfahren werden. Kein Wunder bei unseren Wiederholungs-Geschichten: Da mussten Vokabeln wiederholt werden oder Gedichte oder ganze Klassen. Ein Wiederholer hatte es wohl beim ersten Mal nicht geschafft, es nicht gut – oder nicht schnell genug – hinbekommen. Und muss daher nochmals zurück und von vorne anfangen. „Gehen Sie nicht über Los …“ Ein Wiederholer, das ist ein etwas schmeichelhaft titulierter Tölpel. Ich bitte Sie, seien, wir doch mal ehrlich: Wer viele Wiederholungen braucht, der- oder diejenige ist doch schwer von Begriff. Oder mindestens ein zwanghafter Kontrollfreak. Oder jemand, der ge- oder bestraft ist. Und damit ist nicht der Wiederholungstäter gemeint, ein wenig kreativer Krimineller, der an der Grenze zum Kranken rangiert, sondern beispielsweise der Sportler, der seine Qualifikation wiederholen muss, weil er sie nicht auf Anhieb gepackt hat.

Nichtsdestoweniger hat die Wiederholung auch andere Seiten. „Ich werde noch lange als Wiederholung weiterleben.“ Soll Rudi Carrell prophezeit haben. Im Fernsehen ist Wiederholung längst keine Verlegenheitslösung mehr, sondern eher ein Kompliment. Klassiker kommen in den Genuss der Wiederholung und haben bestenfalls schon Kultstatus erlangt. Sylvester ohne „Dinner for one“, geht für viele gar nicht. Und das sind nicht nur die einschlägig verdächtigen Fernsehspießer, sondern auch freakige Kids und Angehörige der gerade angesagten In-Szenen. Sie huldigen andächtig der zum x-ten Male wiederholten Kultsendung. Obwohl alle Zuschauer jede Szene wohl selbst spielen könnten – und dies zu fortgeschrittener Stunde gelegentlich auch tun. „The Same procedure as every year! Well, I’ll do my very best.“ Das ist fixer Bestandteil ungezählter Kommunikationen, die sich jährlich beim Jahreswechsel wiederholen. Das nährt den Erstverdacht (oder ist es etwa ein wiederholter Verdacht?), dass die Wiederholung etwas ist, das es zum Werden und zum Entstehen notwendigerweise braucht. Wenn Kommunikationsmuster wiederholt werden und sich verfestigen, so die Systemtheorie, dann entsteht anhand dieses gemeinsamen sprachlichen Bandes ein soziales System. Familien, Teams, Gruppen, gesellschaftliche Gruppierungen sprechen eine gemeinsame Sprache, die sie immer wiederholen (was übrigens ziemlich lästig und gelegentlich auch schwer verständlich sein kann). Damit ist auch klar, wer dazugehört und wer nicht. Gute Wiederholer sind drinnen, die anderen müssen draußen bleiben. Wiederholungen sind also notwendig für Neues und dafür, dass neu Entstandenes auch weiter Bestand hat. Und sie bereiten Vergnügen, wecken Erinnerungen. Zum Beispiel an spannende Erlebnisse vor dem Fernseher. Denken Sie an die heute oft wiederholten alten Colombo-Folgen. Ein nicht nur sentimentaler immer wiederkehrender Genuss. Wiederholung kann auch die Lust steigern. Und das ist nicht nur eine sexuell gerne genommene, beliebte Praxis.

Was gut läuft, Lust und Spaß bereitet, das wird gerne wiederholt, manchmal gar zu einem fixen Ritual, weil es ach so schön ist. Bis dann der Reiz verloren ist und die Wiederholung trotzdem bleibt. Dann trägt sie nur mehr den Duft des ehemaligen Reizes, verströmt tatsächlich aber nur mehr geschmacksneutrale Ausdünstungen, die mehr erlitten als genossen werden. „Das haben wir schon immer so gemacht“ – lautet das Mantra der Betonköpfe und Dickschädel, die nicht mehr veränderungs- und lernfähig scheinen. Was ursprünglich Sicherheit, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Kompetenz vermittelte und damit Zeiten vorhersehbar machte, kann in eine Vorhersehbarkeit umkippen, die stört und langweilt. Alleine die Vorstellung daran nervt oft schon. Löste es lange Jahre strahlende oder erwartungsfrohe Kinderaugen aus, dass am Heiligen Abend die Weihnachtsgeschichte vorgelesen wurde, so stieren irgendwann die gelangweilten Pupillen der Pubertierenden verständnislos auf das Wiederholungsgeschehen. Die einst so faszinierten Kinderaugen werden nun nach hinten gerollt – so viel Wiederholung ist nur noch öde und gar nicht mehr geil. Irgendwann kippt die Lust bei der Wiederholung und wird zur Last. Ein maßvoller Umgang mit Variation – vielleicht mal eine gerappte Weihnachtsgeschichte – scheint angezeigt, soll es weiter bei den vertrauten Lustgefühlen bleiben.

Die Wiederholung hat nicht nur lustvolle (oder lustvernichtende ;-), sondern sie hat auch ihre professionellen Reize. Obschon auch gelegentlich als altmodisch diskreditiert, ist das „Üben“ immer noch Standardrepertoire der Profis oder solcher, die es noch werden wollen. Manche Zeitgenossen verbreiten die Weisheit, es brauche immer mindestens 10000 Stunden, um Weltklasseexperte zu werden. Angeblich machte das manchen Geigenvirtuosen groß. Wiederholung des Immergleichen führt zur Perfektion. Rennfahrer üben unentwegt und über hunderte von Runden und feilschen dabei um Linienoptimierung und Sekunden. Diese eintönigen Wiederholungen sind damit quasi beschleunigend. Wer mehr und besser wiederholt hat, der ist schneller! Das gilt auch für Musiker, die ihre Perfektion, ihre Virtuosität und auch Aufführungstempi dadurch steigern, dass sie unentwegt und stundenlang üben – und das heißt: wiederholen. So wie der Clementi Schüler John Field, der schwierige Stellen 100mal hintereinander übte und sich dabei selbst kontrollierte, indem er 100 Spielmarken von einem Becher in den anderen legte. Lustig ist das nicht immer. Auch nicht für Wohnungsnachbarn, wenn sie stundenlang die immer gleiche Sequenz hören, und die Übende an immer der gleichen Stelle scheitert. Der Autor dieser Zeilen hat das leidvoll erlebt und konsequenterweise bei jedem Scheitern der Nachwuchspianistin auch wieder begonnen den gleichen Absatz im Fachbuch nochmals zu lesen. So hatte diese Sekundärnutzung der Wiederholungen der klavierübenden Nachbarstochter die Folge, dass Luhmann endlich verständlicher wurde. Wiederholung steigert nicht nur (Finger-) Fertigkeiten, sondern sie schafft auch ein vertieftes Verständnis anspruchsvoller Zusammenhänge. So versteht der Virtuose das Werk auch anders, wenn er es oft wiederholt, es erschließt sich ihm in der Wiederholung eingehender, intensiver, er erkennt immer neue Facetten. Und das hilft ihm, sein Verstehen des Werkes und auch die Aufführung zu verbessern. Wiederholungen erschließen Neues. Auch das wiederholte Lesen anspruchsvoller Literatur kann solche Effekte auslösen. James Joyces einzigartiges Werk „Ulysses“ steht wie kein anderes dafür. Es braucht die Wiederholung, um die Gedanken und Handlungen von Joyces schwer nachzuvollziehendem „Bewusstseinsstrom“ zunächst nur ansatzweise und dann immer wieder mehr den Text enträtselnd zu erschließen. Joyce hatte die Wiederholung wohl mit in das Kalkül seines schwer verdaulichen Werkes, das übrigens ein Musterbeispiel einer subjektiven Zeitvorstellung bietet, einbezogen: „Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit.“ Da geht’s ihm wie den Fernsehstars, die manchmal in der immerwährenden Wiederholung Legendenstatus erlangen: „Schau mir in die Augen Kleines …“ hat Humphrey Bogart einmal zu Ingrid Bergman gesagt – und seither wiederholen es die romantischen Paare immer wieder. Und es wirkt immer noch und immer wieder (neu und anders). Weil es gut ist. Und was gut ist, verliert auch in der Wiederholung nicht die Qualität, sondern steigert diese, weil es zu Handlungen anregt, die „besser“ – und das heißt ein bisschen anders – wiederholen. Insofern spricht einiges dafür, der Wiederholung ihre Bedeutsamkeit, ihren Wert und ihren Nutzen einzuräumen. Und auch ihren Genussfaktor. Wiederholung kann die Intensität des Erlebens der Zeit steigern. Manchmal trägt sie auch zur Erleuchtung bei, wie im ZEN-Buddhismus. Wiederholung steigert nicht nur die Perfektion und die Qualität, sie gibt nicht nur Sicherheit und Orientierung, sie kann auch neue Wahrnehmungen und Gefühle auslösen – bis dahin, sich in der Wiederholung im Einklang mit der Welt zu erleben und Glück zu empfinden. Wiederholungen können gute Emotionen und Glücksgefühle auslösen. Der Körper quittiert ja auch die stetige Wiederholung der Bewegungen des Langläufers gelegentlich mit der Ausschüttung von Endorphinen, sogenannten Glückshormonen. Manchen Sportlern bringt das den Flow – und sie vergessen sogar die Zeit.

Das schreit nach Wiederholung. Also nochmals los!

In der Musik ist die Wiederholung, die Reprise, fester Bestandteil der Kunst. In Sonaten wird nach der kunstvollen „Durchführung“ mit der Reprise das Hauptthema vom Anfang wieder aufgegriffen. Es gewinnt dadurch Nachdruck und rundet ab. Genau genommen ist aber die erfolgreiche Wiederholung eine, die nicht wie ein Ei dem anderen gleicht. Sie ist eine, die wiedererkannt wird, aber immer wieder leichte Variationen mit sich führt. Wiederholung mit Variation – so heißt das Erfolgsmodell dieser Zeitform. Die Wiederholung hat also einiges zu bieten, wie ich schon mehrfach in meinen Ausführungen betont habe. Aber bevor ich mich wiederhole, mache ich Schluss.

Gute Wiederholungen – gerne auch mit Variation – im Jahr 2017. Und schönes und bereicherndes Neues, das es lohnt, wiederholt zu werden.

Kategorien: Zeitforschung

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

WP Popup