Alles immer schneller. Das ist das Motto der Moderne, seit das technisch Machbare das Denken und Tun und das Geld die Zeit bestimmte. Wenn Zeit Geld ist, dann muss alles immer schneller werden. Der Erfindung der Dampfkraft folgte der „Zug der Zeit“, die Eisenbahn, als technischer Beschleunigungsmotor. Sie brachte es „vom schönen Ungeheuer zur Ästhetik der Geschwindigkeit“ (Hoeg) zum Bild des Fortschrittes. Die Eisenbahnen „eilen, sie dröhnen, sie pochen und hasten um des Glückes willen, so sagt man, der Menschheit“ (Dostojewski 1992, S. 577). Telegrafie, Erfindung des Automobils, Telefon und Rundfunk taten ihr Übriges zu diesem Glück, das dem zur Folge dort zu finden sein soll, wo es „immer schneller“ zugeht. Dieses Konzept fand seinen Ausdruck auch in sportlichen Wettkämpfen, bei denen es um die Erzielung von immer neuen Geschwindigkeitsrekorden ging. War es zunächst der Wettbewerb mittels des menschlichen Körpers und später dann die Faszination des Pferderennens, die lockte, waren es in der Folge die Beschleunigungsmöglichkeiten des technischen Apparates, der dem natürlichen Leben überlegen schien. Und dies musste weitergetrieben und gezeigt werden. Das Pferd war nicht mehr – wie Jahrhunderte lang zuvor – das schnellste Fortbewegungsmittel. Die Zeit der Ritter war vorbei. Nun betraten die Rennfahrer die Bühne und wurden zu den neuen, verstaubten und verwegenen Helden des Fortschritts, der nur allzu oft für sie tragisch endete. Nichtsdestoweniger waren die beginnenden Rennen auch politische Veranstaltungen, denn es gab in der Regel Nationenwertungen, wie beim Gordon-Bennett-Cup, der in den Jahren 1900 bis 1905 stattfand. Am Erfolg bei dieser ziemlich mörderischen Veranstaltung wurde klar, welche Nation den Fortschritt, der an Geschwindigkeit gemessen wurde, am weitesten getrieben hatte.

Diese Nachrichten wurden immer schneller in die Welt gebracht. Das besorgten die Medien. Die Verbreitung von Tages- und Wochenzeitschriften, von Telegrafie und Telefonie, von Rundfunk und Fernsehen sorgten für die immer schnellere Kommunikation des schneller, schneller, schneller. Das Glück, so die Botschaft hinter vielen Botschaften, die medial in die moderne Welt posaunt wurden, sei dort zu finden, wo es „immer schneller“ zugeht.

„Schnelligkeit ist das wichtigste im Krieg““ (Sun Tze) heißt die passende militärische Weisheit zu diesem „Glück“. Das Militär hatte tatsächlich einen großen Anteil an der modernen Schnelligkeits- und Beschleunigungsdynamik. Es wurde – und wird – um die Zeithoheit gekämpft. Wer die hat, der agiert, hat einen Vorteil, zwingt den Gegner zur kalkulierbaren Reaktion. Deshalb nahm ein Wettrüsten seinen Verlauf, das ein zeitlicher Wettlauf um die schnellsten Waffen war – und ist. Wer die hatte oder hat, also die schnellsten Reiter, Kanonenkugeln, Geschütze, Panzer, Flugzeuge, Aufklärungssoftware, der hat schnell die Vorherrschaft und die Macht. Das Militär war und ist insofern ein Beschleunigungsmotor. Und der führt in letzter Konsequenz in die schnelle Vernichtung.

Die ökonomischen Antriebe der technischen Beschleunigung gingen mit der Beschleunigung sozialer Prozesse und derjenigen des Lebenstempos einher. Das haben die zeitsoziologischen Analysen von Hartmut Rosa eindrücklich nachgewiesen (vgl. Rosa 2005). Dass dies so gehen – rasen! – konnte und es bis heute tut, ist nicht nur und ausreichend mit den Antrieben der Technik zu erklären. Vielmehr verweist es auf ein Muster, auf ein Paradigma der Menschheit, das in unserem Kulturkreis an den religiös präferierten Modellen einer guten Lebensführung angeschlossen werden kann. Verkürzt: Arbeite bis zum Umfallen – nur nicht am Sonntag, denn da sollst Du ruhen. Das gefällt Gott (denn er hat es auch so gemacht) und er wird es Dir – im Jenseits zwar, aber immerhin – danken. Bei aller Demut: bis zum Tod geht es darum, pflichtgetreu zu arbeiten, sich immerzu zu beschäftigen. Immer mehr, immer schneller. Diese über Generationen wirkungsvolle Einredung haben nicht zuletzt die Kirchen mit ihren Forderungen forciert.

Geld, Technik, Sport, Militär und Kirchen als Motore der Beschleunigung. Kann das gutgehen?

Wenn wir uns Beschleunigung systematisch anschauen, dann können wir eine quantitative Dimension von einer qualitativen unterscheiden. Quantitativ meint Beschleunigung ein Mehr an Ereignissen, Problemen und Aufwand in (immer) weniger Zeit. Qualitativ meint Beschleunigung die Zunahme von Komplexität in (immer) geringerer Zeit. In einer Studie aus dem Jahre 2014, bei der HR-Führungskräfte sowie 1.000 Arbeitnehmer befragt wurden, klagte jeder zweite Arbeitnehmer über Beschleunigung und komplexere Aufgaben. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der berufliche Alltag – so die Studie – von 48 Prozent der deutschen Arbeitnehmer aus deren Sicht spürbar beschleunigt. Dadurch bleibt weniger Zeit für die einzelnen Arbeitsprozesse. Gleichzeitig sind die Aufgaben nach Einschätzung von 53 Prozent der Arbeitnehmer komplexer geworden. Als weitere wichtige Veränderung empfinden 43 Prozent von ihnen die sogenannte Verdichtung – also mehr Arbeit mit weniger Kollegen.[1] Beschleunigung wird vor allem im Arbeitsleben wahrgenommen. Und da das zunehmend weniger vom restlichen Leben abgegrenzt wird, weil sich Arbeitszeit und Freizeit vermischen, setzt sich der Arbeitsmodus auch im restlichen Leben fort. Immer schneller. Und das auch noch gleichzeitig. Das ist kaum auszuhalten für viele.

Körperlich sind der Immer-Weiter-Beschleunigung Grenzen gesetzt. Die G-Kräfte produzieren bei Jet-Piloten und Raketenstarts zunächst Fratzen derer, denen es die Augen und anderes reindrückt. Danach käme weit Schlimmeres, für den Menschen Finales. Psychisch schaut es ähnlich aus. Wenn Beschleunigung zu einer immer größer wahrgenommenen Belastung wird, tritt das Hirn auf die Bremse. Und wir finden uns im Krankenbett oder in der Burn-Out-Klinik wieder. Und genießen zwangsläufig die Entschleunigung. Und fragen uns, wo uns das noch hinführt. Heißt: Beschleunigung zeigt die Grenzmöglichkeiten des Systems in Störungen auf, die entstehen, wenn nicht mehr weiter beschleunigt werden kann. Erst die Störung eröffnet die Möglichkeit, anders zu beobachten, also z.B. Möglichkeiten der Entschleunigung oder der Verlangsamung zu beobachten. Womöglich wäre das auch einfacher zu haben gewesen … Das hat die Immer-weiter-Beschleunigung aber nicht hergegeben.

Hartmut Rosa (2005, S. 115) definiert Beschleunigung als Mengenzunahme pro Zeiteinheit bzw. gleichbedeutend als Reduktion der benötigten Zeit pro Mengeneinheit. Bei der Menge kann es sich um Unterschiedliches handeln, beispielsweise eine zurückgelegte Wegstrecke, eine kommunizierte Datenmenge oder aber produzierte Güter. Und da sind wir gut heute, beschleunigen nicht nur Teilchen, Autos, Prozesse, Arbeitsabläufe, Vernetzungen sondern auch unser gesamtes Leben, damit wir mehr Erlebnisse pro Zeiteinheit darin unterbringen. Um dann frustriert mit dem Ergebnis zu hadern, das wir als Überforderung fühlen. Beschleunigung ist eine wichtige Ressource. Sie konnte im Falle einer nötigen Flucht Leben retten und war auch beim Kampf des urzeitlichen Jägers hilfreich. Abgelöst von dieser ursprünglichen Überlebensfunktion offenbart sie Schattenseiten, die uns belasten. Vielleicht sollten wir es mal mit beidem probieren, wenn es denn jeweils gerade hilfreich erscheint. Mit Beschleunigung und auch mal mit Verlangsamung und Entschleunigung. Und nicht nur auf ein Pferd mit Scheuklappen setzen, das dann irgendwann überfordert zusammenbricht. Das wäre ja auch irgendwie schade für die Ressourcen der Beschleunigung.

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Mehr zum Thema Zeit finden Sie bald in:

Frank Michael Orthey: Zeitumstellung. Für einen guten Umgang mit der Zeit. Erscheint am 21.06.2017 bei Haufe-Lexware.

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[1] Das sind Ergebnisse der Studie „Einfluss des HR-Managements auf den Unternehmenserfolg“ der Personalberatung Rochus Mummert. http://www.presseportal.de/pm/82267/2718931, Download am 04.05.2017 um 18.38 Uhr

Kategorien: Zeitforschung

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